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Freitag, 24. Dezember 2010

Hip Hop Heiligabend

Eine wahre Weihnachtsgeschichte erzählt die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Politik und Kultur“. 1997 unterschrieb die damalige Juso-Vorsitzende den Gründungsvertrag für das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem, ein Begegnungszentrum für palästinensische und israelische Jugendliche auf der Grünen Linie zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt. 2008 stand es plötzlich vor dem Aus, weil der Vermieter das Haus verkaufen wollte. Zufällig erfuhr Nahles seinerzeit von der SPD-Schatzmeisterin, dass ein jüdischer Rechtsanwalt der Partei eine große Geldsumme vererbt hatte. Die Auszahlung war an die Bedingung geknüpft, ein Friedensprojekt im Geiste Willy Brandts zu fördern. Deswegen gibt es dieses Haus, in dem Jugendliche aus den verfeindeten Lagern zusammen kommen, noch immer. Im Sommer traten dort israelische, palästinensische und deutscher Rapper gemeinsam unter dem Motto „Hip-Hop-Hudna“ auf. Hudna heißt Waffenruhe: „There is no difference between God and Allah / no difference between Sederot and Ramallah / there will be peace, Amen and Inshallah.“ - In diesem Sinne wünscht die Kulturrepublik schöne Feuertage und ein friedliches neues Jahr!

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Unheimliche Wirklichkeiten in Baden-Baden

Die täuschend lebensechten Hausfrauen, Anstreicher und Wachmänner des Bildhauers Duane Hanson gehören in den Museen der Welt zu den Publikumslieblingen – so wie seine „Putzfrau“ in der Stuttgarter Staatsgalerie. Rund dreißig dieser Fiberglasmenschen treffen jetzt in Baden-Baden auf die unheimlich realen Fotoinszenierungen von Gregory Crewdson. Beide Künstler nehmen die US-amerikanische Alltagsrealität in den Blick und führen uns in die Grauzone zwischen Wirklichkeit und Illusion. Elke Linda Buchholz hat den Audioguide zur Ausstellung geschrieben und stellt sie im Kulturfinder vor.

Im Theater (15): Krieg ernährt die Familie

Draußen auf dem Theatervorplatz herrscht dichtes Schneetreiben, drinnen im Deutschen Theater wässert ein Rasensprenger ein saftiges Grasviereck. Drumherum sitzt das Publikum und bildet die lebende Mauer um eine brüchige Familienidylle. Die Geschichte ihres Zusammenbruchs beginnt - in Arthur Millers Drama Alle meine Söhne - mit einer heiteren Rückblende: Der hemdsärmelige Fabrikbesitzer Joe Keller tollt mit fünf Kindern, alle im Grundschulalter, ballspielend auf dem Rollrasen herum. Noch ist seine Welt in Ordnung, noch sind die Kinder zu klein, um Fragen nach Verantwortung und Schuld zu stellen. Weiterlesen

Dienstag, 21. Dezember 2010

Paris-Bücher

Was darf in den Koffer, was nicht? Trotz strenger Auswahl: Die gesamte Reisebibliothek war diesmal aufgestapelt zwanzig Zentimeter hoch, wog dreieinhalb Kilo und umfasste elf Bände, darunter einen handlichen Stadtplan mit Spiralbindung. Elke Linda Buchholz war in Paris und hat Reiseführer und andere Paris-Bücher auf ihre Brauchbarkeit getestet. Im aktuellen literaturblatt lesen Sie ihren Erfahrungsbericht.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Die Farbe funkelt

Der von Willem de Roij abgedunkelte Glaskubus der Neuen Nationalgalerie sieht derzeit so abweisend aus, als habe das Haus auf Dauer dichtgemacht. Doch beherzt hinein und hinab ins Kellergeschoss! Das Kupferstichkabinett hat eine wunderbare kleine Macke-Ausstellung in die „Modernen Zeiten“ implantiert (bis 13. Februar; Di–Fr 10–18, Do 10–22, Sa u. So 11–18 Uhr). Die drei Aquarelle von der legendären Tunisreise August Mackes 1914 funkeln geradezu vor Farbe und Licht – gerade richtig bei dem Winterschmuddelwetter draußen. Dass der 27-jährige Künstler diese schwebend leichten Bilder orientalischer Märkte und Gärten nicht mal eben hinskribbelte, sondern seinen Stil sorgfältig am Kubismus und Fauvismus schulte, lässt sich an den übrigen 33 Zeichnungen und Skizzen von 1911 bis 1914 studieren. Alle seine Lieblingsmotive sind da: die Flanierenden im Park, die Schaufenster, die Papageien im Zoo, der Zirkus und der Thuner See. Selbst die aus Graustufen aufgebauten Aquarelle und Kreidestudien zeigen mit ihrem facettenartigen Spiel der Bildbausteine, dass Macke selbst im schwarz-weißen Medium die Farbe immer mitdachte. Berlin verdankt diesen Schatz an Papierarbeiten zum großen Teil der Witwe des im Ersten Weltkrieg jung gefallenen Malers. 1921 machte sie der Nationalgalerie zahlreiche Blätter zum Geschenk – als Dreingabe zu den kostbaren Tunis-Aquarellen, die damals aus dem Nachlass erworben wurden. Elke Linda Buchholz im TAGESSPIEGEL vom 13. Dezember 2010.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Gefahrenabwehr

Auf der grauen Spree treiben Eisschollen. Ein scharfer Wind streicht über die Kronprinzenbrücke neben dem Bundestagskindergarten. Der Spreeübergang im Regierungsviertel ist ein kritischer Punkt, alle paar Meter steht ein Polizist am Brückengeländer und kämpft bibbernd gegen der Kälteterror. Die Beamten warten auf einen Konvoi schwarzer Limousinen mit Halbmond- und Deutschlandwimpeln, der vom Kanzleramt kommen soll. Um die Zeit zu verkürzen, wirft einer der Polizisten mit Schneebällen nach seinen Kollegen auf der anderen Brückenseite. Schneebälle statt Maschinenpistolen: So stellt sich außerhalb Berlins sicher niemand die Gefahrenabwehr vor. Sicher, die Gehwege um den Reichstag sind weiträumig mit Gittern abgesperrt, das ist lästig. An einem Durchlass für Bundestagsmitarbeiter sitzen die Polizisten windgeschützt in einem Kleinbus und beantworten den ganzen Tag geduldig die Fragen der Touristen. Hinter dem rot-weißen Absperrgitter steht ein lustiger Schneemann mit olivgrüner Strickmütze in der Kälte und bewacht das Parlament: Terroristen, zieht Euch warm an!

Montag, 13. Dezember 2010

Im Theater (14): Nuttenrepublik

Nun also die Sexarbeiterinnen. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann Volker Lösch und sein Team auf ihren Streifzügen durch die sozialen Milieus auf dem Strich, in den Bordellen und Massagesalons fündig werden würden. Das ging etwas schneller als geplant, weil es nicht möglich war, genügend Freiwillige aus der Finanzwirtschaft für eine vorweihnachtliche Aufführung von Georg Kaisers „Von morgens bis mitternachts“ zu rekrutieren. Statt dessen nun ein Verschnitt von Wedekinds „Lulu“-Tragödie mit „Texten von Berliner Sexarbeiterinnen“, die aus Interviews komponiert wurden. „Muschis aller Länder, vereinigt Euch!“ skandiert der furiose Prostituiertenchor ganz zum Schluss ins amüsierte Publikum: „Steht auf für ein befriedigtes Deutschland, für ein befriedigtes Europa, für eine befriedigte Welt!“ - Die gesamte Theaterkritik lesen Sie hier.

Freitag, 10. Dezember 2010

Ein Preis für Franz Hessel

Wer hätte gedacht, dass dem zartsinnigen, von wenigen gelesenen Schriftsteller Franz Hessel noch einmal eine staatstragende Rolle zufallen würde, fast 70 Jahre nach seinem Tod als armer jüdischer Emigrant im südfranzösischen Sanary-sur-Mer? Heute wollen der deutsche und französische Kulturminister in Freiburg erstmals den Franz-Hessel-Preis verleihen, den sich auch künftig jährlich zwei Autoren aus beiden Ländern teilen sollen. Dafür hätte man wahrlich keinen besseren Namensgeber finden können als den Übersetzer von Stendhal, Balzac und Proust, als den in Stettin geborenen Vater des französischen Widerstandskämpfers und Diplomaten Stéphane Hessel. Seit Truffauts Film Jules und Jim ist die Dreiecksbeziehung zwischen Franz Hessel, seiner Frau Helen und dem französischen Schriftsteller Henri-Pierre Roché weltbekannt. Den Deutschen wollte Hessel französisches Laissez-faire nahe bringen, nach dem Motto: „Genieße froh, was du nicht hast“. Als elementare Entspannungsübung empfahl er das Flanieren nach Pariser Vorbild. Heute ist die deutsch-französische Annäherung so weit entwickelt, dass Hessels Stoßseufzer auf Paris so gut passt wie auf Berlin: „Hierzulande muss man müssen, sonst darf man nicht. Hier geht man nicht wo, sondern wohin. Es ist nicht leicht für unsereinen.“ - Einen längeren Aufsatz von Michael Bienert über Franz Hessel aus dem abgebildeten Buch finden Sie hier.

Wahrnehmungsschnipsel und Bilderrauschen

Hier blinzelt ein Krokodilsauge aus dunklem Hintergrund, da ploppt eine unscharfe Haarlocke vor Farbnebeln gleich zweimal auf. Vergeblich versucht man, die verschwommen vergrößerten Motive zu entziffern, die sich im Abstrakten verlieren. Für solche heterogen vervielfältigten Wahrnehmungsschnipsel ist der 1967 geborene Eberhard Havekost bekannt, der wie Neo Rauch und Thomas Scheibitz zu den Malerstars der Nachwendezeit gehört. Neuerdings aber mischen sich ungewohnt expressive Töne in das Havekostsche Bilderrauschen. Pastose Farbstriche sitzen roh auf der weißen Leinwand, als wolle der Maler noch einmal ganz von vorn beginnen und vorführen, was das ist: Malerei. - Mehr von Elke Linda Buchholz über die Ausstellung in der Galerie von Heiner Bastian im Tagesspiegel.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Das teuerste Buch der Welt

Gestern wurde vom Auktionshaus Sotheby in London ein Exemplar des wohl teuersten Buches der Welt für umgerechnet 8,6 Mio. € versteigert: The Birds of America; from Original Drawings von John James Audubon (1785–1851). Von 1827 bis 1838 porträtierte und dokumentierte Audubon in bestechender Detailgenauigkeit die amerikanische Vogelwelt. In einem aufwändigen und teuren Verfahren wurden seine Zeichnungen in Schottland im doppelten Folioformat auf 435 Tafeln gedruckt und zu 87 Lieferungen zusammengefasst. Die Lieferungen 1 bis 14 mit 70 Tafeln sind auch im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin. Aus diesem besonderen Schatz der Bibliothek stellte der DuMont Verlag einen Wandkalender für 2011 zusammen, der im Buchhandel und am Verkaufsstand der Staatsbibliothek, Haus Potsdamer Straße 33, erhältlich ist (22,95 Euro). Audubon zeichnete in einer für seine Zeit ganz neuen und ungewöhnlichen Art: Seine Aquarelle zeigen jede Vogelart detailgetreu in Lebensgröße, er stellte ihre typischen Gefieder- und Körpermerkmale in Bewegung und in Gruppen oder Familien dar und zeigte dabei die charakteristischen Landschaften und Pflanzen, auf den sich die Tiere oft aufhalten. Auffallend ist die Zartheit der Kolorierungen, die sowohl die originalen Aquarelle als auch die gedruckten Bilder auszeichnet.

Hofnarren des Sozialismus auf Burg Beeskow

Ein Narr im Schellenkostüm erzählt Kindern eine Geschichte: Dieses scheinbar harmlose Gemälde (Ausschnitt auf dem Katalogumschlag rechts) von Andreas Schmidt lässt sich als Gleichnis auf die Rolle der Kunst in der DDR lesen – zugleich als Allegorie der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse im Land. Zu sehen ist das Werk in der Ausstellung BilderBühnen auf Burg Beeskow, unter den 25 Großformaten findet sich auch ein interessantes Frühwerk des Malerstars Neo Rauch. Die Besprechung der Ausstellung von Elke Linda Buchholz lesen Sie im Tagesspiegel.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Kanzlerkarte

Eine Weile hieß das Ecklokal im Berliner Regierungsviertel Café Mierscheid, benannt nach Jakob Maria Mierscheid, der seit 30 Jahren als Phantom durch den Bundestag geistert. Der erfundene SPD-Abgeordnete, Jahrgang 1933, hat sich in dieser Legislaturperiode noch nicht wieder mit skurrilen Initiativen zu Wort gemeldet, es erschienen lediglich ein paar Geburtstagsartikel am 1. März. Dem Ecklokal hat der berühmte Name kein Glück gebracht, es nennt sich längst Kanzler-Eck. Auf der Speisekarte stehen Gerichte wie Konrad Adenauer, das ist Sauerbraten mit zweierlei Kohlrabi, oder die Ochsenbrust Ludwig Ehrhard. Zu Ehren von Willy Brandt und Helmut Schmidt kommt Fisch auf den Teller, unter dem Namen Helmut Kohl, was sonst, Pfälzer Saumagen. Das teuerste der Gerichte auf der Kanzlerkarte, ein Kalbsschnitzel, heißt nach dem Brioni-Liebhaber Gerhard Schröder. Und Angela Merkel? Sie ist Namensgeberin für eine Rinderroulade mit Petersilienkartoffeln. Nicht sehr charmant, Herr Wirt! Oder steckt da der SPD-Altvordere Mierscheid dahinter? (29. November 2010) - Weitere Kolumnen aus der Kulturrepublik-Kolumne finden Sie hier.

Montag, 22. November 2010

Im Theater (13): Schimmelpfennig und Inflationsgeld

Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes am Deutschen Theater handelt vom Gefälle der Lebenschancen zwischen reichen und armen Ländern - und wie wir Wohlgenährten damit umgehen. Frank Castorf versucht mit Walter Mehrings Der Kaufmann von Berlin den alten Kampfgeist der Volksbühne wiederzubeleben - und scheitert jämmerlich. Den aktuellen Bericht über ein Premierenwochenende in Berlin lesen Sie hier.

So haben Bücher keine Zukunft

Zwei Büchersammler unterhalten sich über ihr liebstes Laster: Das könnte reichlich amüsant sein, zumal die beiden Umberto Eco und Jean-Claude Carrière heißen, der eine Romancier, Semiotiker und Kulturkritiker von Weltruf, der andere gesuchter Drehbuchpartner von Filmregisseuren wie Bunuel, Godard, Schlöndorff oder Wajda. Auf einer Bühne oder im Fernsehen wäre hübsch anzusehen, wie die alten Herren sich die Stichworte zuwerfen, um über antike Schriftrollen, brennende Bibliotheken oder ihre Erfahrungen mit dem Internet zu räsonieren. Doch leider ist aus dem Dialog ein Buch geworden, auf dem in bestsellerverdächtiger Größe der Name ECO prangt und das schon im Titel Die große Zukunft des Buches verheißt. Lesen Sie die vollständige Kritik hier.

Dienstag, 16. November 2010

Kolonialpolitik

Was soll man da meckern? Trotz Sparmaßnahmen in fast allen Ministerien wird Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) im kommenden Jahr mehr Geld zur Verfügung haben, sein Etat steigt um 2,4 Prozent, das sind 27 Millionen Euro mehr, vor allem für den Denkmalschutz. Aber auch die Kulturstiftung des Bundes profitiert von den Beschlüssen des Haushaltsausschusses des Bundestages, der vergangene Woche tagte. Das war nicht unbedingt zu erwarten, der positive Bescheid spricht für den Kulturverstand der Abgeordneten.
Sie haben auch dem Goethe-Institut ihr Vertrauen ausgesprochen, indem sie die Sparvorschläge des Auswärtigen Amtes neutralisierten: Zwar akzeptierten die Parlamentarier eine Budgetkürzung um 8 Millionen, bewilligten aber dem Goethe-Institut dieselbe Summe zusätzlich für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Ein Kompromiss, bei dem niemand sein Gesicht verliert.
Warum allerdings das Berliner Haus der Kulturen der Welt eine 20-prozentige Kürzung seiner Förderung durch das Auswärtige Amt hinnehmen muss, bleibt ein Rätsel. Seit 1989 bietet es den außereuropäischen Kulturen in der Hauptstadt eine Plattform. Es signalisiert weltweit, dass Deutschland nicht nur eine kulturelle Exportnation sein will, sondern auch auf die Welt neugierig ist.
Wie wenig man hierzulande von fremden Kulturen immer noch weiß, zeigen viele unsägliche Wortmeldungen in der aktuellen Integrationsdebatte. Um den internationalen Kulturdialog zu fördern, will der Bund in den kommenden Jahren 552 Millionen Euro für ein Humboldt-Forum am Berliner Schlossplatz ausgeben. Es ist total absurd, nun das Haus der Kulturen zu schröpfen, das hier und jetzt leistet, was das Humboldt-Forum eines fernen Tages einmal leisten soll.
Vom Ausland gesehen sieht das nach Kolonialpolitik aus: Die Deutschen nehmen den Export ihrer eigenen Sprache wichtiger als die Begegnung mit fremden Kulturen im eigenen Land. Ohne Not setzt das Auswärtige Amt ein völlig verkehrtes kulturpolitisches Signal.
Kulturpolitischer Kommentar, erschienen in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 16. November 2010.

Montag, 15. November 2010

Führungskräfte

Hat der Bundesrat, ein Verfassungsorgan, Besucher jahrelang rechtswidrig von Scheinselbständigen durchs Haus führen lassen? Diese Frage wird heute vor dem Landessozialgericht in Potsdam in zweiter Instanz erörtert. Die Deutsche Rentenversicherung hatte festgestellt, dass freie Mitarbeiter im Besucherdienst wie abhängig Beschäftigte eingesetzt wurden und deshalb die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen gefordert. Dagegen klagte der Bundesrat und verlor. Statt das gut begründete Urteil vom Juni 2009 (Az. S 36 KR 2382/07) zu akzeptieren und Ruhe einkehren zu lassen, legte der Bundesrat Berufung ein (Az. L 1 KR 206/09). Er gibt damit ein schlechtes Beispiel ab, etwa für das Jüdische Museum in Berlin. Dort sieht man sich ebenfalls mit Nachforderungen der Rentenkasse konfrontiert, nachdem eine langjährige Honorarmitarbeiterin ihre Führungstätigkeit im Museum überprüfen ließ. Eine andere Kollegin versucht vor dem Arbeitsgericht, ihre zehnjährige Arbeit im Museum nachträglich als festes Beschäftigungsverhältnis anerkennen zu lassen. Pikanterweise kündigte die Museumleitung den beiden engagierten Frauen die Zusammenarbeit Ende letzten Jahres, nachdem es zu einem Aufstand von Honorarmitarbeitern gegen ihre Behandlung gekommen war. So etwas mag in der freien Wirtschaft gang und gäbe sein; doch Verfassungsorgane und Kulturinstitute des Bundes haben eine Vorbildfunktion. Auch wenn es nur um Führungskräfte am untersten Ende der Hierarchie geht. - Erschienen in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 15. November 2010. Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier.

Donnerstag, 11. November 2010

Literaturhäuser in Deutschland

So schnell hat selten ein Auftraggeber ein Honorar überwiesen wie die Onlineredaktion des Goethe-Instituts für die Aktualisierung eines Textes über Literaturhäuser in Deutschland. Das freut die Buchhaltung unserer Textfabrik. Außerdem kann man sich auf goethe.de den Text vorlesen lassen und eine englische Übersetzung gibt es auch. Toller Service für Leute auf der ganzen Welt, die sich darüber informieren wollen, was in Deutschland so los ist.

Montag, 8. November 2010

Schön bunt hier

Die Internetrecherche zum Stichwort „Bunte Republik" führt zu einem flotten Musikvideo, in dem Knetmännchen blitzschnell ihr Aussehen wechseln. Aus einem gelbhäutigen Asiaten wird ein rothaariger Irokese, aus einem Eskimo ein Afrikaner, aus einem Sumo-Ringer ein Torero. „Wir stehn am Bahnsteig und begrüßen jeden Zug, / denn graue deutsche Mäuse, die haben wir schon genug", nölt dazu Udo Lindenberg auf dem Titelsong seines Albums Bunte Republik Deutschland. Die Platte - rechts das Cover - erschien 1989, wenige Wochen vor dem Fall der Berliner Mauer. Kannte Bundespräsident Christian Wulff das Lied, als er seine Antrittsrede vor dem Bundestag mit dem Bonmot schmückte, die Bundesrepublik sei längst eine liebenswürdige „bunte Republik Deutschland"? Seither geht es hierzulande total bunt durcheinander. Grüne verteidigen den ungeliebten Wulff gegen die CSU, und der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin zieht als Lautsprecher der Ewiggestrigen durchs Land. Nur auf Udo Lindenberg ist Verlass: Heute Abend will er in Neuhardenberg, unweit der polnischen Grenze, bei einem Sonderkonzert zur Erinnerung an den Mauerfall die „Bunte Republik Deutschland" proklamieren. Der Bundespräsident hat die Einladung zu dem fröhlichen Staatsakt angenommen. - Weitere Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier.

Donnerstag, 4. November 2010

Der lange Atem

Hier freuen sich die drei Preisträger über die Auszeichnung Der lange Atem, die gestern abend im RADIALSYSTEM V verliehen wurde. Vergeben wird sie vom Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) an Kollegen für, die "Mut, Sorgfalt, Beharrlichkeit" in der täglichen Arbeit bewiesen haben. Diese Tugenden sollten eigentlich selbstverständlich sein, bleiben aber im Alltag oft auf der Strecke, sind sogar oft unerwünscht. Druck wird auf Journalisten nicht allein durch Wirtschaftsunternehmen ausgeübt, die eine kritische Berichterstattung zu fürchten haben. Preisträger Harald Schumann (links) vom Tagesspiegel beklagte, dass es um die Pressefreiheit innerhalb der Redaktionen vielfach nicht gut bestellt sei. Für seine langjährigen Recherchen zu den Risiken unkontrollierter Finanzmärkte erhielt er den 1. Preis. Dorothea Jung (Mitte) vom Deutschlandradio produziert sein Jahren einfühlsame und aufklärende Radioberichte über Muslime und Islamisten. Ingo Bach (rechts) wurde für die von ihm für den Tagesspiegel konzipierten Wegweiser durch die medizinische Infrakstruktur ausgezeichnet.

Montag, 1. November 2010

Im Theater (12): Im Dickicht der Städte

Die Staubschicht auf dem Berliner Ensemble wird immer dicker. Nun darf dort auch Katharina Thalbach inszenieren, die 1969 blutjung als Hure Betty in der "Dreigroschenoper" am Berliner Ensemble debütierte. Brechts Witwe Helene Weigels erkannte damals das Talent des Eigengewächses: Sowohl die Mutter Sabine Thalbach als auch der Vater Benno Besson arbeiteten zu Brechts Zeiten am Haus. Es ist eine hübsche Fußnote der Theatergeschichte, dass Thalbach nun vom amtierenden Intendanten Claus Peymann den Auftrag erhielt, Brechts Frühwerk "Im Dickicht der Städte" zur Aufführung zu bringen. Der knallbunte Abend mit allerlei putzigen V-Effekten (Leuchtschriftbänder über der Bühne, horizontal zerschnittenen Brechtgardinen als Projektionsfläche für Videobilder, sowie Latexmasken für die Schauspieler, die ein Laufband auf die Bühne befördert) sollte wohl eine leichte und witzige Hommage an das Brecht-Theater werden. Gustav Peter Wöhler als Shlink und Sabin Tambrea als Garga geben sich redlich Mühe, den "Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago" auszufechten. Doch der Abend ermüdet alsbald, weil völlig unklar bleibt, wozu das ganze Spektakel heutzutage gut sein soll - außer zur Beglückung von Touristen, die am Berliner Ensemble Brecht sehen wollen, inszeniert von einer namhaften Regisseurin, die das Brecht-Theater buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Die teuflische Fantasie der Securitate

Noch bis 21. November ist die Ausstellung Herta Müller - Der kalte Schmuck des Lebens im Literaturhaus Berlin zu sehen. Dann wandert sie weiter nach Stuttgart und Lübeck. Für das literaturblatt berichtet Michael Bienert ausführlich über die Entstehung dieser außergewöhnlichen Literaturausstellung, für die die Nobelpreisträgerin viele private Dokumente zur Verfügung gestellt hat. Zu den kuriosesten gehört ihr rumänischer Reisepass, in den die rumänischen Behörden das Datum des 29. Februar 1987 stempelten, als die Autorin in die Bundesrepublik übersiedelte - ein Datum, das es gar nicht gab, denn 1987 war kein Schaltjahr. Mehr über diese und andere Schikanen lesen Sie im Beitrag Die teuflische Fantasie der Securitate.

Phantomschmerz in Mitte

Mit der Ausstellung Berlins vergessene Mitte hat das Stadtmuseum einen Nerv getroffen. Sie weckt den Phantomschmerz einer Metropole, die ihre vormodernen, bis ins Mittelalter zurück reichenden Wurzeln zum Verschwinden gebracht hat. Die historischen Fotos der Ausstellung zeigen ein versunkenes Berlin, das nicht so sehr durch den Bombenhagel verloren ging, sondern vorher und nachher planmäßig beseitigt wurde, um Platz für moderne Stadtkonzeptionen zu schaffen. Die kleinteilige Altstadt ist verloren, wie wenig sie durch Rekonstruktion oder Sanierung wiederherstellbar ist, zeigen das Nikolaiviertel und die Spandauer Vorstadt. Virulent bleibt die Frage nach der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume in der Stadtmitte. Eine weitere Fotoausstellung im Ephraim-Palais nimmt sie auf: Sie stellt Berlin-Bilder gegenüber, die im Abstand von 20 bis 30 Jahren aufgenommen wurden, vor dem Mauerfall und in diesem Jahr. Die Fotografin Barbara Metselaar Berthold hat damals und heute festgehalten, wovon sie sich angeschaut fühlte: Ruinen und Reklamen, Arbeiter und Arbeitslose, spielende Kinder und Touristen, die sich vor Mauerresten fotografieren. Auf den aktuellen Digitalfotos in Farbe sieht Berlin nicht aufgeräumter und fröhlicher aus als auf den Schwarz-Weiß-Fotos aus der geteilten Stadt. Ein substantieller Fortschritt in der Stadtentwicklung ist darauf nicht zu erkennen. - Zur Ausstellung "Berlins versunkene Mitte" ist ein Katalog erschienen, zu Barbara Metselaar Bertholds "Vexierbildern" eine Werkmonografie im Lukas Verlag: Albatros. Vom Abheben. Fotografien 1971-2010.

Montag, 25. Oktober 2010

Das letzte Tabu

Ein verliebter Bankangestellter unterschlägt eine hübsche Summe Geldes und versucht in der Großstadt ein neues Leben anzufangen. Diese Geschichte wollte Volker Lösch vor Weihnachten an der Berliner Schaubühne mit einem Laiensprechchor aus Finanzsachverständigen inszenieren. Letzte Woche musste er die Premiere von Georg Kaisers Stück „Von morgens bis mitternachts" jedoch absagen. „Es haben sich leider nicht genügend Leute gefunden, die über das Leben im Bankgeschäft berichten können, dürfen und wollen", erklärte der Regisseur. Aus Scham? Aus Desinteresse am Theater? Oder aus Angst, nie wieder einen Job zu finden, wenn sie öffentlich ausplaudern, was sie erlebt haben? Andere Branchen geben sich nicht so zugeknöpft. Deshalb wird Lösch nun ersatzweise „Lulu" von Wedekind auf die Bühne bringen: Einen Chor vom Sexarbeiterinnen zu rekrutieren, die offen über ihren Berufsalltag reden, ist hierzulande einfacher, als Banker öffentlich zum Sprechen zu bringen. - Weitere Kulturrepublik-Kolumnen finden Sie hier.

ringbahn.com

Eine Stunde Stadt ist ein Buch, das man bequem in der Berliner Ringbahn lesen kann: Von S-Bahn-Station zu S-Bahn-Station erzählt es Stadtgeschichte und wirft einen Blick auf den aktuellen Alltag der Stadtquartiere. Wer lieber mit dem Laptop auf den Knien reist, findet jetzt im Internet ein vergleichbares Angebot: Das Center for Metropolitan Studies (CMS) hat eine elegant strukturierte und sehr inhaltsreiche Website zur Berliner Ringbahn ins Netz gestellt, mit einem Stationenplan zum Anklicken, Karten zum (architektonischen und kulturhistorischen) Umfeld der S-Bahnhöfe, pointierten Kurzinformationen und längeren Texten, außerdem vielen Bildern. Geradezu ein Modell dafür, wie ein Internet-Reiseführer zu einem speziellen Thema gestaltet sein kann. Und außerdem auch ein schöner Qualifikationsnachweis für die an dem Projekt beteiligten TU-Studenten des Studiengangs "MA Historische Urbanistik". Geleitet hat das Projekt die TU-Professorin Dagmar Thorau. Hut ab!

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Freizeitkapitäne

Erwin Teufel mit Gattin im Ruderboot auf dem Bodensee, Rainer Brüderle wandernd im Weinberg, Kurt Beck strampelnd auf dem Fahrrad und Frank-Walter Steinmeier als Gipfelstürmer im Gebirge: Ein Bildband mit Urlaubsfotos deutscher Politiker, das fehlte gerade noch! Der Herausgeber Markus Caspers, Professor für Gestaltung und Medien in Neu-Ulm, hat indes das Beste daraus gemacht. Kein Hochglanzalbum, sondern einen kritischen Streifzug durch ein bisher kaum erforschtes Randgebiet der politischen Ikonografie. Politprofis wissen genau, dass Fotos aus ihrem Privatleben über ihre Zukunft entscheiden können. Verteidigungsminister Rudolf Scharping stürzte über Badefotos mit seiner Geliebten, deren Veröffentlichung in der „Bunten“ eigentlich den Zweck hatte, sein Image als hölzerner Langweiler aufzupolieren. Familie Kohl posierte jedes Jahr mit einem anderen niedlichen Tier. Neben dem Wandern, Klettern und Baden scheint das Segeln die Lieblingsbeschäftigung deutscher Politiker zu sein. Denn wer als Freizeitkapitän nicht kentert, so die Botschaft an die Wähler, wird auch das Staatsschiff souverän durch alle Stürme steuern. Markus Caspers (Hg.): Bin baden! Deutsche Politiker im Urlaub. Fackelträger Verlag 2010, 128 Seiten, 12,95 Euro - Mehr Kolumnen von Michael Bienert über die Kulturrepublik finden Sie hier.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Ein Forum für Chamisso

Der Dichter, Weltreisende und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) war seiner Zeit in vielem voraus, deshalb war es überfällig, eine literarische Gesellschaft ins Leben zu rufen, die nicht nur sein Andenken pflegen, sondern auch zukunftsweisende Projekte fördern will. Um die Kommunikation unter den weltweit verstreuten Chamisso-Freunden zu erleichtern, haben wir ein Forum auf blogger.com für sie eingerichtet. Mehr

Zu Monet nach Paris

Ihr Sonnenschirm ist weiß wie ihr bodenlanges Kleid. Sie flaniert durch den Garten, ein Tupfenmeer aus weißen Rosen und roten Blüten, aus schattigem und lichtem Grün. Wo immer die junge Dame in der Pariser Métro auf Plakatwänden auftaucht, verbreitet sie für einen Moment elegische Sommerstimmung in der Hektik des Alltags. Das wenig bekannte, meisterhafte Werk des erst 25-jährigen Claude Monet aus der Eremitage Sankt Petersburg haben die Kuratoren als Blickfang für ihre Ausstellung auserkoren. Denn diese erste große Retrospektive seit 30 Jahren zeigt nicht nur die üblichen Verdächtigen aus den Pariser Sammlungen, sondern über 100 kostbare Leihgaben aus aller Welt. Elke Linda Buchholz war in Paris und hat sich die große Monet-Schau angesehen. Wegen der Streiks in Frankreich dauerte ihr Aufenthalt etwas länger als geplant. Heute ist ihr Bericht im Tagesspiegel zu lesen. - Wer nicht so weit reisen kann oder will, dem sei die Impressionisten-Ausstellung im Essener Folkwang-Museum empfohlen, für den Elke Linda Buchholz den Audioguide geschrieben hat.

Frauen schauen Dich an

Gefasst blickt sie aus dem Gemälde, die Erschütterung hat ihr weiches Gesicht durchsichtig gemacht. Die große Liebe des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm II., die Musikertochter Wilhelmine Encke, malte Anton Graff im schwarzen Trauerkleid, kurz nach dem Tod des Sohnes Alexander von der Mark. Das Bild lässt sich als Aufforderung der Mätresse an den wankelmütigen König lesen, sie jetzt erst recht nicht im Stich zu lassen. In der Ausstellung Preussens Eros - Preussens Musen hängt es dem Porträt der rechtmäßigen Königin genau gegenüber. Für den Tagesspiegel hat sich Michael Bienert ins Kreuzfeuer der Frauenblicke begeben. Lesen Sie die Ausstellungsbesprechung hier.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Jeden Tag eine gute Zeitung

Mit den Berliner Abendblättern, dem ersten täglich erscheinenden Boulevardblatt der preußischen Hauptstadt, war Heinrich von Kleist seiner Zeit weit voraus - und scheiterte nach einem halben Jahr am Widerstand der Behörden, die einen unabhängigen und kritischen Journalismus fürchteten. Am 1. Oktober 1810 kam die erste Nummer heraus, gut ein Jahr später schoss sich Kleist eine Kugel in den Kopf. Jetzt kann man die Abendblätter wieder abonnieren, umsonst werden sie täglich von der Uni Würzburg per E-Mail zugestellt. Tolle Idee! Bestellen kann man die Zeitung hier. - Bei uns wird sie täglich gelesen, denn im Kleist-Jahr 2011 planen wir einen Berliner Stadtrundgang zu Kleist. Arbeitstitel: Kein Ort. Nirgends.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Rauf auf die Bundeswippe!


Zehn Millionen Euro hat der Bundestag vor zwei Jahren für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin bewilligt. Wofür sie ausgegeben werden sollen, ist auch nach dem zweiten Gestaltungswettbewerb unklar. Eine Jury kürte am 3. Oktober drei gleichrangige Siegerentwürfe aus 28 Arbeiten eines beschränkten Wettbewerbs, für den sich 386 Bewerber angemeldet hatten. Vorangegangen war 2009 der Abbruch eines ersten offenen Ideenwettbewerbs mit 533 Teilnehmern. Als Konsequenz aus dem Fiasko wurde die Aufgabe beim zweiten Anlauf vereinfacht: Statt 200 Jahren Einheitsstreben sollten die Künstler nur noch die friedliche Revolution von 1989/90 in die Form eines Nationaldenkmals bringen.

Der Karlsruher Bildhauer Stephan Balkenhol schlägt einen demütig knieenden Mann im weißen Hemd vor, etwa fünf Meter hoch: Jogi Löw, nachdem er seinen ersten Titel als Nationaltrainer geholt hat. Der Münchner Architekt Andreas Meck will einen flachen Pavillon mit Revolutionsschlagwörter auf dem halb transparenten Dach bauen. Originell und waghalsig wirkt allein die Idee des Stuttgarter Büros Milla und Partner, eine mächtige Metallschale aufzustellen, die sich unter dem Gewicht der darauf steigenden Besucher neigen soll. Motto: „Bürger in Bewegung“. Auch die Berliner Choreografin Sasha Waltz war am Entwurfsprozess beteiligt. Das interaktive Riesenspielzeug hätte wohl die meisten Chancen, eine Besucherattraktion zu werden. Doch nach Auskunft des Juryvorsitzenden Arno Sighardt Schmidt blieben offene Fragen in puncto Sicherheit, Betriebskosten und Statik. Es müsse erst geklärt werden, ob der denkmalgeschützte Sockel des einstigen Kaiser-Wilhelm-Reiterstandbildes an der Spree die kühne Konstruktion überhaupt tragen kann.

Der Bundestag war schlecht beraten, als er sich auf diesen Ort für eine Freiheits- und Einheitsdenkmal festlegte. Die Wettbewerbsteilnehmer quälten sich vor allem damit ab, ihre Ideen in ein Verhältnis zum Unterbau aus der Kaiserzeit und der Schlossfassade zu bringen, die nebenan wieder aufgebaut werden soll. Das Nationaldenkmal des demokratischen Deutschland soll sich in den vorgegebenen Rahmen einer monarchischen Denkmalsetzung einfügen – eine schon im Ansatz verfehlte Aufgabenstellung. Der Stuttgarter Entwurf einer monumentalen Bundeswippe, auf der Bürger ihr Gewicht spüren, löst dieses Problem spielerisch und selbstbewusst auf.

Alle 28 Wettbewerbsentwürfe sind bis 31. 10. im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgestellt. Hier finden Sie Bilder der Wettbewerbsentwürfe. - Warum das Freiheitsdenkmal besser nicht auf dem Kaiser-Wilhelm-Sockel stehen sollte, erläutern wir hier.

Montag, 4. Oktober 2010

Im Theater (11): Freedom And Democracy


Politisches Theater lebt nicht allein von gutem Willen und gesuchter Provokation. Es braucht Fingerspitzengefühl, Leute für etwas zu interessieren, was sie vielleicht lieber nicht sehen wollen. Im Berliner Ensemble wird dieser Balanceakt zur Schlingerpartie, weil der Hausherr und Regisseur Claus Peymann sich schwer damit tut, das Zumutbare vom Umzumutbaren zu unterscheiden. Und auch weil die elf zeitkritischen Dramolette von Mark Ravenhill, die unter dem Titel Freedom and Democracy – I Hate You dargeboten werden, von sehr verschiedener Qualität sind. Lesen Sie hier die ausführliche Theaterkritik.

Montag, 27. September 2010

Agenten unter Palmen

Die Tage von „Camp Nikolaus“ sind gezählt. So lautet der Tarnname der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, seit dessen Vorläufer, die „Organsation Gehlen“, am Nikolaustag des Jahres 1947 die ehemalige Rudolf-Heß-Siedlung bezog. Wie die künftige BND-Zentrale in Berlin heißen wird, ist noch streng geheim. Schon überragt die kantige Betonburg für 4000 Mitarbeiter die blickdichten Bauzäune der am schärfsten bewachten Baustelle der Republik. Kein Geheimnis mehr sind die Namen der Künstler, die den Koloss schmücken dürfen. Anette Haas und Friedrike Tebbe planen in endlosen Fluren eine Galerie monochromer Farbfelder, die BND-Tarnnamen tragen. An den Foyerwänden sollen Rätselbilder von Antje Thomas und Thomas Sprenger zu sehen sein, vor dem Haupteingang wird eine wuchtige Stahlplastik von Stefan Sous lagern wie ein von Außerirdischen abgeworfener Faustkeil. Auf der Terrasse zwischen der Gebäuderückseite und dem Flüsschen Panke will Ulrich Brüschke zwei Kunststoffpalmen aufstellen, 25 Meter hoch und nachts von innen leuchtend. Sie entrücken den Büroklotz optisch in die Tropen und wirken wie ironische Ausrufezeichen: Bürger, passt auf, dieses Haus steckt voller Mysterien! - Hier finden Sie ein Foto des Entwurfs und mehr Kulturrepublik-Kolumnen.

Montag, 20. September 2010

Architekten wählen einen Stadtplaner zum Präsidenten

Im Panorama-Café am Potsdamer Platz, 25. Etage, mit Blick über die ganze Stadt stellte sich am Montagvormittag der neue Präsident der Bundesarchitektenkammer vor. Sigurd Trommer, Jahrgang 1944, hat sich als langjähriger Stadtbaurat in Wolfsburg und Bonn einen Namen gemacht. Die Bundeskammerversammlung der Architekten wählte ihn am Wochenende einstimmig. Den Stadtplaner Trommer interessieren architektonische Geschmacksfragen weniger als das große Ganze: Er sieht in den globalen Herausforderungen durch Klimawandel, Ressourcenknappheit und Bevölkerungsexplosion eine gewaltige Aufgabe für seinen Berufsstand. Das Thema Architektur sei in den Schulen so wenig angemessen repräsentiert wie die Ausbildung an den Hochschulen zeitgemäß: „Wir produzieren akademische Knechte und nicht Leute mit dem Selbstvertrauen, unsere Welt zum Guten weiterzuentwickeln.“ - Mehr in der STUTTGARTER ZEITUNG von morgen.

Ein Denkfilm für Walter Benjamin

Walter Benjamins Aktentasche bleibt verschollen. Ihr Inhalt sei wichtiger als er selbst, sagte er seiner Fluchthelferin, ehe er sich vor 70 Jahren in den Pyrenäen vergiftete, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen. Andere von Freunden gerettete Nachlasspapiere haben Jahrzehnte später im Berliner Benjamin-Archiv zusammengefunden. Es bildet ein Denken ab, das sich leichthin zwischen extremen Polen bewegte: Proust und Brecht, Kindheitserinnerung und Philosophie, Marxismus und Theologie, Aura und Massenproduktion, Bild und Begriff. Weit über seinen Tod hinaus sorgt die spielerische Beweglichkeit dieses Denkens für Irritationen. Es lässt auch den Filmemacher David Wittenberg nicht los: Aus Anlass des 70. Todestag hat er seinen mittlerweile dritten Film über Benjamin gedreht, der heute gesendet wird. „Geschichten der Freundschaft“ zeichnet die intellektuelle Biografie entlang der intensiven Beziehungen zu Gershom Scholem, Bert Brecht und dem Ehepaar Adorno nach. Zu einem eingesprochenen Essay sieht man ruhige Bilder von Orten, die für Benjamin wichtig waren: Denkbilder von heute. - Heute auf arte, 23:50 Uhr, Wiederholungen am 26. September 2010 um 01:40 Uhr und 6. Oktober.2010 um 05:00 Uhr. Der 70. Todestag von Walter Benjamin ist der 26. September.

Mittwoch, 15. September 2010

Die verschwundene Grenadierstraße


Die Grenadierstraße galt bis zum Zweiten Weltkrieg als Hauptstraße der ostjüdischen Kolonie im Berliner Scheunenviertel. Der Name Grenadierstraße war in osteuropäischen Schtetln ebenso ein Begriff wie unter jüdischen Emigranten in Amerika. Heute sucht man ihn vergebens auf den Stadtplänen, seit DDR-Zeiten heißt die Straße Almstadtstraße nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer. Der Historiker Horst Helas hat ihr nun ein eigenes kleines Buch gewidmet (Die Grenadierstraße im Berliner Scheunenviertel: Ein Ghetto mit offenen Toren. Hentrich & Hentrich, Berlin 2010, 128 Seiten, 12,90 Euro), in dem er zuletzt einen 16 Jahre alten Vorschlag von Michael Bienert aufgreift: Eigentlich wäre es Berlin der verschwundenen Grenadierstraße und ihren deportierten und ermordeten Bewohnern schuldig, dass an den heutigen Straßenschildern wenigstens ein Hinweis auf den alten Namen angebracht wird. So etwas gibt es längst auch anderswo, zum Beispiel an der Taubertstraße in der Villenkolonie Grunewald, die von 1925 bis 1933 Rathenauallee hieß, nach dem in der Nähe von Rechtsradikalen ermordeten jüdischen Reichsaußenminister Walther Rathenau. - Michael Bienerts Tagesspiegel-Artikel über die Grenadierstraße in Martin Beradts Roman Beide Seiten einer Straße finden Sie in unserem Archiv.

Sammlergeschichten im Naturkundemuseum


Jakob ist ein Mädchen. Das kam aber erst heraus, als der Hauspapagei des Naturforschers Alexander von Humboldt ausgestopft werden sollte. Dreißig Jahre lebten die beiden in einem Haushalt. Nun sitzt Jakob weit besser konserviert als sein Herrchen in einer Vitrine im Berliner Naturkundemuseum. Gemeinsam mit der nach Humboldt benannten Berliner Universität feiert es in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. In einer farbigen Jubiläumsausstellung präsentiert das Haus die Geschichte seine Sammlungen, außerdem ist der wiederaufgebaute Ostflügel mit einem spekakulären neuen Schaudepot zu besichtigen. Mehr
P.S.: Zur Ausstellung ist ein opulentes Begleitbuch ("Klasse, Ordnung, Art", Basilisken Presse, 340 Seiten, 29.90 Euro) erschienen, in dem auch Michael Bienert mit zwei Beiträgen vertreten ist: einem Überblick über Berlin als Stadt der Wissenschaft um 1810 und einer stadthistorischen Recherche zur Gegend um die Invalidenstraße, in der das Museum für Naturkunde 1889 sein heutiges Quartier bezog.

Sonntag, 5. September 2010

Waldidylle eines Bürgerschrecks


Brechts Sommerhaus mit Garten in Buckow, eine knappe Autostunde vom Berliner Zentrum entfernt, ist ein anmutiges Ausflugsziel. Ein weiteres Künstlerhaus ganz in der Nähe kann seit dem Wochenende besichtigt werden. Auf Drängen Brechts baute sich der befreundete Montagekünstler und Grafiker John Heartfield im benachbarten Waldsieversdorf eine Datsche. Das verträumte Holzhäuschen unter Kiefern offenbart eine zarte, verletzliche und romantische Seite des Künstlers, der vor allem als aggressiver politischer Fotomonteur berühmt wurde. Lange stand die Hütte leer und drohte gänzlich zu vermodern. Die kleine Gemeinde und ein Freundeskreis kämpften 12 Jahre darum, das Heartfield-Haus als Gedenkstätte und Ort für Kulturveranstaltungen herrichten zu können, unterstützt von der Berliner Akademie der Künste, die das Interieur in ihrem Archiv verwahrte. Nun ist das Wohnzimmer mit Seeblick wieder gemütlich möbliert, in der geräumigen Küche können Ausstellungen gezeigt werden und in der Veranda Lesungen stattfinden - den Waldsierversdorfern sei Dank, denen der kommunistische Bürgerschreck John Heartfield als umgänglicher Mitbürger in Erinnerung geblieben ist. - Öffnungszeiten unter www.johnheartfield-haus.de. Lesen Sie den ausführlichen Artikel von Elke Linda Buchholz im Tagesspiegel hier.

Montag, 30. August 2010

Der Bundestag möbliert sich

Vielleicht 100 Buchumschläge in Rot, Rosa, Lila und Beige liegen als freundlicher Flickenteppich auf dem polierten Steinfussboden im Kunstraum des Bundestages. Ein Vorgeschmack auf die halb abstrakten Wandbilder aus antiquarischen Büchern, die das Foyer in einem halb fertigen Erweiterungsbau für die Parlamentarier zieren sollen, etwa 200 Meter vom Reichstag entfernt. „600 Bücher für 600 Parlamentarier“ will der Berner Künstler Peter Wüthrich an die Wände dübeln. Durch einen gelben Lichttunnel der Berliner Künstlerin Gunda Förster sollen die Angeordneten das Bürohaus betreten. Im 3000 Quadratmeter großen Innenhof erwartet sie dann ein luftiger Cornushain mit einem filigranen Pavillon in Kreisform. Damit will der Schweizer Landschaftsarchitekt Guido Hager die Abgeordneten zu kontemplativem Nachdenken und politischen Diskussionen in frischer Luft anregen. Sehr nett, das alles. Auch Abgeordnete haben ein Anrecht auf ein freundlichmöbliertes Rückzugsgebiet. - Alle Wettbewerbsentwürfe sind noch bis 12. September im Kunstraum des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ausgestellt (10117 Berlin, Schiffbauerdamm, geöffnet Di bis So von 11-17 Uhr, Eintritt frei).

Freitag, 27. August 2010

Eine Berlin-Anthologie für Feinschmecker


Der zweitägige Historiale-Kongress über die Zwanziger Jahre in Berlin, dessen Moderation Michael Bienert kurzfristig übernommen hatte, ist vorbei - was bleibt, auch über das Kostümspektakel am kommenden Wochenende im Nikolaiviertel hinaus, sind die Bücher. Neben unseren eigenen (mehr) empfehlen wir ganz besonders: "Ach wie gut schmeckt mir Berlin". Französische Passanten im Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre (im Verlag Das Arsenal, 2010, 292 Seiten, 24,90 Euro). Die Herausgeberin Margarete Zimmermann, Romanistikprofessorin an der FU Berlin, stellte das Buch gestern zum Abschluss des Kongresses vor, es enthält echte Neuentdeckungen an Berlin-Texten von französischen Autoren, die auch in Frankreich weitgehend unbekannt geblieben sind und erstmals übersetzt wurden. So berichtete Roger Martin du Gard, ein Freund André Gides, über aufregende Nachmittage im Institut für Sexualwissenschaft im Tiergarten, Georges Friedmann veröffentlichte 1930 eine Riesenreportage über das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz in der Zeitschrift Monde, die Philosophin Simone Weil mietete sich bei einer kommunistischen Arbeiterfamilie in Neukölln ein und analysierte die Lage der deutschen Bevölkerung kurz vor der Machtübertragung an Hitler. Hinter der Textauswahl steckt viel Forschungsarbeit, die der Verlag dem breiteren Lesepublikum in sehr ansprechender Form präsentiert. Dieses sehr schöne, auch sehr schön verschenkbare Lesebuch ist eine echte Bereicherung für jede Berlin-Bibliothek.

Dienstag, 24. August 2010

Wo ist Döblins Kopf?

„Das gefährlichste Organ des Menschen ist der Kopf“, wusste der Dichter und Nervenarzt Alfred Döblin. Folgerichtig bestand sein 1992 eingeweihtes Denkmal in Berlin nur aus einem Bronzekopf auf einem schlanken Steinsockel. Es markierte so ungefähr den Standort des verschwundenen Hauses an der Frankfurter, heute Karl-Marx-Allee, wo Döblin von 1919 bis 1931 wohnte und Patienten empfing. Seit Anfang Juli steht dort nur noch der Sockel. Döblins Kopf: abgesägt, spurlos verschwunden, ein Fall fürs die Polizei. Gut möglich, dass die Räuber bloß der Altmetallwert des Kopfes interessierte, man kennt solche Gestalten aus dem Roman „Berlin Alexanderplatz“ ganz genau. Der bettelarme Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg freilich weiß nicht, wo er das Geld für einen Nachguss von Döblins Kopf auftreiben soll. Kommissar Zufall, hilf! - Weitere Kulturrepublik-Kolumnen finden Sie hier. Morgen um 15 Uhr hält der Autor Michael Bienert den Eröffnungsvortrag des Historiale-Kongresses zum Thema "Berlin ist Benzin. Alfred Döblins Berlin." Mehr

Donnerstag, 19. August 2010

Tote sehen Dich an


Auf dem Parkplatz vor der ehemaligen US-Botschaft wird ein Park angelegt, aber vorher müssen die Toten umgebettet werden, die dort liegen. Vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg stand auf dem Geviert zwischen Mittel-, Schadow- und Neustädtischer Kirchstraße die Dorotheenstädtische Kirche, drumherum befand sich ein Kirchhof. Durch den Gitterzaun kann man den Archäologen bei der Arbeit zusehen und wenn man Glück hat - wie ich gestern - in ein geöffnetes Grab aus dem 18. Jahrhundert blicken. Der Kollege Lothar Heinke sich die Grabungsstelle genauer angesehen und im Tagesspiegel darüber berichtet. Mehr

Montag, 16. August 2010

Tacheles vor dem Aus


Die Tacheles-Ruine in der Oranienburger Straße steht 20 Jahre nach ihrer Besetzung durch Künstler vor der Räumung. Daran ist nicht allein die HSH-Nordbank schuld, die das Gebäude zwangsversteigern lassen möchte. Das Hauptproblem ist die Zerstrittenheit der Nutzer im Haus untereinander. Michael Bienert hat das Tacheles vergangene Woche besucht und berichtet heute für die STUTTGARTER ZEITUNG. Zum Artikel

Donnerstag, 12. August 2010

Die Mauer der Polen

Vom Osten gesehen ragte der Reichstag über den antifaschistischen Schutzwall, vom Westen gesehen verlief die Berliner Mauer gleich hinter dem Reichstag. Beide Perspektiven sind vor Ort nur noch schwer nachvollziehbar, trotz der Aufsteller mit historischen Fotos und der dezenten Mauerverlaufsmarkierung im Straßenpflaster. Dafür zieht seit vergangenem Jahr ein Stück roter Ziegelmauer an der Nordostecke des Reichstags die suchenden Blicke der Mauertouristen auf sich. Es stammt von der Danziger Leninwerft und würdigt die Solidarnosc-Bewegung als Wegbereiter der europäischen Einigung. Als der Präsident Lech Kaczynski und viele polnische Würdenträger im April bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, legten viele Trauernde an dem Mauerstück Blumen ab und zündeten Kerzen an. Ein Zeichen, dass die polnische Mauergedenkstätte am Bundestag keine Kopfgeburt der Politiker geblieben, sondern bei den Bürgern angekommen ist. - Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik lesen Sie hier.

Mittwoch, 11. August 2010

Betriebsgeheimnisse (7): Gelb ist nicht gleich Gelb


Unser Buch Die Zwanziger Jahre in Berlin sollte auch ein neues, frischeres Cover bekommen, um auszudrücken, dass es darin nicht nur um die Vergangenheit geht, sondern ebenso um das Nachleben der Epoche in der heutigen Stadt. Verschiedene Veränderungen wurden ausprobiert, schließlich kam eine grafisch sehr ansprechende Version auf den Tisch, als Hintergrundfarbe hatte die Grafikerin ein Bauhausgelb ausgesucht. Stimmt irgendwie nicht, spürte das Autorenpaar, bloß warum? Wahrscheinlich, weil man bei dem Gelb auf dem Buchumschlag spontan nicht ans Bauhaus dachte, sondern an Telefonbücher und Reclamhefte. Wir haben andere Buchumschläge studiert, uns vom Hersteller Farbproben ausgeliehen, schließlich risikofreudig ein frisches Gelb mit einem Stich ins Limettenfarbene ausgesucht, ohne ganz sicher zu sein, wie das dann am Ende ausschauen würde. - Glück gehabt, das Ergebnis ist schick, außerdem liegt das Buch gut in der Hand, es ist sauber gedruckt, gut gebunden: Ist halt ein richtiges Buch, mit allen Vorzügen, die kein E-Book bieten kann. Dazu gehört auch, dass die Farbqualität des Einbandes auf elektronischen Displays nicht richtig wiedergegeben wird, man muss ihn schon in die Hand nehmen... Buchinfos

Dienstag, 10. August 2010

Betriebsgeheimnisse (6): Die Zwanziger Jahre in Berlin, renoviert


Zum Geschichtsfestival Historiale erscheint unser Buch Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt in der 3. Auflage. Viel ist nicht zu ändern, aber die behutsame Aktualisierung macht dennoch eine Menge Arbeit, wie man an der abgebildeten Doppelseite zum Thema "Geschichte im Museum" erkennen kann (zum Vergrößern anklicken!). Als das Buch 2005 zum ersten Mal erschien, zeigte das Deutsche Historische Museum noch keine Dauerausstellung - jetzt gibt es sie, der Abschnitt über die Zwanziger Jahre musste eingeordnet werden. Seit 2008 zählen sechs Siedlungen der Moderne zum UNESCO-Weltkulturerbe, das musste ebenso berücksichtigt werden wie die erst im Juni erfolgte Umbenennung des Holtzendorffplatzes in Kracauerplatz. Buchinfos

Montag, 9. August 2010

Ziegel für Berlin


Seit dem Ausflug nach Mildenberg steht auf dem Schreibtisch ein kleiner Backstein, nur wenige Zentimeter groß. Aus rotem Ton perfekt geformt, für die Ewigkeit gebrannt: ein Stück Berliner Geschichte en miniature. Wer erkunden will, wo der Stoff herstammt, aus dem Berlin gemauert ist, sollte nach Norden fahren. Eine Stunde mit dem Auto, schon ist man mittendrin in der Zehdenicker Tonstichlandschaft. Elke Linda Buchholz hat die ehemalige Industrieregion und den Ziegeleipark in Mildenberg für den Tagesspiegel beschrieben. Zum Artikel

Dienstag, 3. August 2010

Auf das Verbrechen folgt - na was? - die Schuld...


Mit dem Erzählungsband Verbrechen, der auf Fällen aus seiner Praxis basiert, avancierte der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach über Nacht zum Beststellerautor. Filmrechte und Übersetzungen in 25 Länder sind verkauft, im November erhält Schirach mit dem Kleistpreis eine renommierte Auszeichnung. Der neue Band Schuld hat eine Startauflage von 100 000 Exemplaren. Nicht nur äußerlich, auch inhaltlich ist er ein Zwilling des Debüts, das ist Stärke und Makel zugleich. Michael Bienert hat das Buch in der STUTTGARTER ZEITUNG besprochen. Mehr

Dienstag, 13. Juli 2010

Sommerfantasien

Trotz des strahlenden Sommerwetters ist es bedenklich leer auf der halb verbrannten Wiese, auf der nächstes Jahr der Berliner Schlossbau beginnen sollte. Den hat die Bundesregierung aufgeschoben und so droht hier tatsächlich eine empfindliche Leerstelle, schon wegen der Sonnenbrandgefahr. Da Bund und Senat verhindern wollten, dass bis zum Baubeginn Bäume Wurzeln schlagen, gibt es keinerlei Schatten. In einem Sommerinterview hat Bauminister Ramsauer eine kulturelle Zwischennutzung bis zum Baubeginn angeregt und als Beispiel die Schneemänner angeführt, die dort im letzten Winter zahlreich umherstanden. Auch ein hölzernes Globe-Theater wie zu Shakespeares Zeiten könne er sich vorstellen. Zufällig steht so etwas momentan ungenutzt in den Babelsberger Filmstudios herum. Der Regisseur Roland Emmerich hat das Theater für seinen Film „Anonymous“ nachbauen lassen. Die Berliner Shakespeare Company, die bislang in einem Zirkuszelt spielt, meldete sofort Interesse an einem Umzug an. Shakespeare statt Schloss, warum nicht? Mit kühlem Kopf allerdings kann man sich schon ausmalen, wie das Publikum in dem Theaterbau mit offenem Dach zu Schneemännern gefriert, wenn erst der heiße Sommer vorbei ist. - Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik finden Sie hier

Donnerstag, 1. Juli 2010

Friedenauer Frauen


Auf das 100. literaturblatt waren wir besonders gespannt, eigentlich hätte es längst im Briefkasten sein müssen, aber es kam nichts an. Liegt es an der Hitze? Die Post kommt in den letzten Tagen unverschämt spät am Nachmittag, wahrscheinlich fürchten die Briefträger die Mittagssonne. Eben meldet die literaturblatt-Herausgeberin Irene Ferchl einen Super-GAU: Wegen einer technischen Panne in der Druckerei musste das bereits auslieferungsfertige Heft eingestampft und nochmals gedruckt werden. Heute gehen die Belege in die Post, online konnte man einen Teil der Beiträge schon seit ein paar Tagen lesen. Da diese einzigartige, wunderbare Literaturzeitschrift, für die wir seit 16 Jahren schreiben, in Berlin nicht ganz so einfach zu bekommen ist wie in Baden-Württemberg, haben wir Michael Bienerts literarischen Streifzug zu den Frauen von Friedenau auch auf unsere Homepage gestellt.

Samstag, 26. Juni 2010

Joachim Gauck im Radialsystem

„Da sitzt ein Mann und den wollen wir haben“, so brachte die Schauspielerin Ursela Monn gestern abend die fröhliche Stimmung der Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck (Foto) auf den Punkt. Im Berliner Radialystem fand ein großes Künstlerfest für Gauck statt. In den drei Wochen seit seiner Nominierung hat sich via Internet eine Bürgerbewegung formiert, die größte Säle füllen kann. Das hätte keine Parteizentrale so organisieren können, sagte Gauck in seiner improvisierten Ansprache. Dass sich so viele Bürger für das politische Thema der Bundespräsidentenwahl interessierten, sei ein großes Geschenk. Er bekannte sich zu den demokratischen Institutionen, es gehe nicht darum, die Berufspolitiker von der Bühne zu drängen. Auch das Verfahren der Bundespräsidentenwahl sei völlig in Ordnung. Aber: „Wir wollen uns wiedererkennen in diesem Staat“. Die Suchbewegung der Vielen nach mehr Glaubwürdigkeit in der Politik werde weitergehen, „auch wenn die Personalie Gauck erledigt ist.“ Mehr über Joachim Gauck

Donnerstag, 24. Juni 2010

Box statt Schloss

Die Bundesregierung hat den Baustart für das Berliner Schloss von 2011 auf 2014 verschoben, doch Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat ohnehin nicht damit gerechnet, dass die außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem dort bereits 2015 würden einziehen können. Das räumte er bei einem ausführlichen Interview ein, das wir für die STUTTGARTER ZEITUNG über die Konsequenzen des Regierungsbeschlusses geführt haben. Parzinger (Foto) erwartet nun eine Eröffnung des Humboldt-Forums im Schloss erst 2022. Noch in diesem Jahr soll die Humboldt-Box am Schlossplatz eingerichtet werden, um für das Projekt zu werben. Weitere Berichte und Informationen zum Schlossbau und Humboldt-Forum finden Sie auf unserer Homepage.

Im Theater (10): Kurt Krömer als Johnny Chicago


So etwas habe er seit 25 Jahren nicht erlebt, das sei die ödeste Berliner Theaterspielzeit seit Menschengedenken, stöhnt ein älterer Kritikerkollege vor der Volksbühne. Wie fast alle Premierengäste genießt er den lauen Sommerabend und will gar nicht rein in das düstere Riesenhaus. So schöne Abende zum Flanieren gab es bisher wenige, und von dieser Spielzeit werden wohl nur die Seesäcke in Erinnerung bleiben, auf denen das Publikum die Volksbühnenflops durchleiden musste. Bei der Uraufführung von Johnny Chicago mit dem Autor Jakob Hein, Kurt Krömer und Inka Löwendorf auf der Bühne gibt es immerhin was zu lachen, aber das rettet diese Spielzeit auch nicht mehr. Zur Kritik

Mittwoch, 23. Juni 2010

Einen Engel müsste man haben


Es war rappelvoll in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, als Christa Wolf vergangene Woche ihr neues Buch Stadt der Engel oder The Overcoat Of Dr. Freud vorstellte (siehe Foto). Michael Bienert war dabei und hat das 400-Seiten-Werk gelesen, ein feines Textgewebe aus Reiseaufzeichnungen, Erinnerungen und Reflexionen, die von der Kindheit der Autorin bis in die Gegenwart reichen. Bei der Präsentation äußerte die 81-jährige Christa Wolf Zweifel daran, ob sie noch in der Lage sein werde, ein weiteres Erzählwerk in diesem Umfang zu vollenden. Mehr

Dienstag, 22. Juni 2010

Berlin Biennale oder: Enjoy Poverty!


Wild gestikulierend schreien Börsenhändler durcheinander, Kursnotierungen rattern durchs Bild. Gegenüber rüstet sich eine Guerillatruppe von schwarze Fischern am Nigerdelta zum Kampf. Mit Maschinengewehren in der Hand erklären sie den Weißen den Krieg. Denn die von der Ölindustrie verschmutzten Fischgründe ernähren ihre Familien nicht mehr. Mit hypnotischer Wucht lässt der amerikanische Künstler Mark Boulos die beiden parallelen Realitäten in seiner Videoinstallation aufeinanderprallen. Die Ölkatastrophe gibt ihr aktuelle Brisanz. Die 6. Berlin-Biennale will den Blick für die Realität schärfen, für das "Was draußen wartet", so der Titel der Ausstellung. Mit ihrem gesellschaftskritischen Anspruch bleibt die Kuratorin Kathrin Rhomberg der Tradition der 1998 gegründeten Biennale treu. Zum vollständigen Bericht von Elke Linda Buchholz geht es hier

Sonntag, 13. Juni 2010

Ferdinand Möller und die "Entartete Kunst"

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An diesem Wochenende wird an der Schöneberger Straße 78 eine Gedenktafel für den Kunsthändler Ferdinand Möller eingeweiht. Er handelte in den Nazizeit mit "Entarteter Kunst", heute arbeitet eine nach ihm benannte Stiftung kritisch die Geschichte des NS-Kunstbetriebs auf. Für den Tagesspiegel hat Elke Linda Buchholz recherchiert, wie beides zusammenhängt. Mehr

Samstag, 12. Juni 2010

Berlins Götterhimmel in Mannheim


Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird nicht allein vom Bund und vom Land Berlin finanziert, sondern von allen Bundesländern gemeinsam, und damit das so bleibt, zeigt sie seit einigen Jahren öfters Flagge außerhalb der Hauptstadt. Auf der Berliner Museumsinsel war die Ausstellung Die Rückkehr der Götter ein Publikumsrenner, jetzt ist sie in Mannheim zu sehen. Elke Linda Buchholz berichtet im Kulturfinder: "Arg ramponiert sehen viele der hehren Göttergestalten aus. Kaum einer der Unsterblichen ist unversehrt über die Zeiten gekommen. Wem nur die Nasenspitze fehlte oder ein Arm abgebrochen war, der hatte noch Glück. Manch einer musste gar, wie Göttervater Zeus, es sich gefallen lassen, aus mehreren Marmorfragmenten zusammengestückt zu werden..." Mehr

Donnerstag, 10. Juni 2010

Schlossplatz ohne Schloss?


Von einem Baustopp auf dem Berliner Schlossplatz ist am Tag nach der Sparklausur der Bundesregierung nichts zu spüren. Zwei Bagger schlenkern fröhlich ihre bunten Greifarme unter einem Bauschild der Wasserbetriebe. Ein gelber Kran hievt Betonfertigteile mit rautenförmigen Fensterausschnitten auf den Rohbau der Humboldt-Box, die im Dezember eröffnet werden soll. Das temporäre Informationsgebäude könnte nun wohl ein paar Jahre länger stehen bleiben und den Platz mit Riesenplakatwerbung verunzieren. Wer von der Allee Unter den Linden auf den Schlossplatz zusteuert, den empfängt dieser Tage die Parole „Wir machen morgen möglich“. Klingt wie Parteienwerbung, ist aber Großreklame für „intelligente Prozessoren mit Wow-Faktor“. Genau das, was in der Politik gerade schmerzlich fehlt. Zum ausführlichen Bericht über den Stand der Dinge auf dem Schlossplatz und Bedeutung der Sparbeschlüsse für die Berliner Kultur geht es hier.

Montag, 7. Juni 2010

Glückliches Hannover


Erst gewinnt die fesche Lena beim europäischen Sängerwettstreit in Oslo und bekennt sich bei ihrer triumphalen Rückkehr zu ihrer Heimatstadt. Dann nominiert die Berliner Koalition den niedersächsischen Regierungschef für das Amt des Bundespräsidenten. Vor dem Büro des Oberbürgermeisters Stephan Weil stehen Reporter Schlange, die über die „Hannoveranisierung der Republik“ berichten wollen. Michael Bienert war am Wochenende in Hannover, hat mit Kulturverantwortlichen gesprochen und die Eröffnung der ersten Kunstfestspiele im Schlosspark Herrenhausen (Foto) genossen. Mehr