Translate

Montag, 30. August 2010

Der Bundestag möbliert sich

Vielleicht 100 Buchumschläge in Rot, Rosa, Lila und Beige liegen als freundlicher Flickenteppich auf dem polierten Steinfussboden im Kunstraum des Bundestages. Ein Vorgeschmack auf die halb abstrakten Wandbilder aus antiquarischen Büchern, die das Foyer in einem halb fertigen Erweiterungsbau für die Parlamentarier zieren sollen, etwa 200 Meter vom Reichstag entfernt. „600 Bücher für 600 Parlamentarier“ will der Berner Künstler Peter Wüthrich an die Wände dübeln. Durch einen gelben Lichttunnel der Berliner Künstlerin Gunda Förster sollen die Angeordneten das Bürohaus betreten. Im 3000 Quadratmeter großen Innenhof erwartet sie dann ein luftiger Cornushain mit einem filigranen Pavillon in Kreisform. Damit will der Schweizer Landschaftsarchitekt Guido Hager die Abgeordneten zu kontemplativem Nachdenken und politischen Diskussionen in frischer Luft anregen. Sehr nett, das alles. Auch Abgeordnete haben ein Anrecht auf ein freundlichmöbliertes Rückzugsgebiet. - Alle Wettbewerbsentwürfe sind noch bis 12. September im Kunstraum des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ausgestellt (10117 Berlin, Schiffbauerdamm, geöffnet Di bis So von 11-17 Uhr, Eintritt frei).

Freitag, 27. August 2010

Eine Berlin-Anthologie für Feinschmecker


Der zweitägige Historiale-Kongress über die Zwanziger Jahre in Berlin, dessen Moderation Michael Bienert kurzfristig übernommen hatte, ist vorbei - was bleibt, auch über das Kostümspektakel am kommenden Wochenende im Nikolaiviertel hinaus, sind die Bücher. Neben unseren eigenen (mehr) empfehlen wir ganz besonders: "Ach wie gut schmeckt mir Berlin". Französische Passanten im Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre (im Verlag Das Arsenal, 2010, 292 Seiten, 24,90 Euro). Die Herausgeberin Margarete Zimmermann, Romanistikprofessorin an der FU Berlin, stellte das Buch gestern zum Abschluss des Kongresses vor, es enthält echte Neuentdeckungen an Berlin-Texten von französischen Autoren, die auch in Frankreich weitgehend unbekannt geblieben sind und erstmals übersetzt wurden. So berichtete Roger Martin du Gard, ein Freund André Gides, über aufregende Nachmittage im Institut für Sexualwissenschaft im Tiergarten, Georges Friedmann veröffentlichte 1930 eine Riesenreportage über das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz in der Zeitschrift Monde, die Philosophin Simone Weil mietete sich bei einer kommunistischen Arbeiterfamilie in Neukölln ein und analysierte die Lage der deutschen Bevölkerung kurz vor der Machtübertragung an Hitler. Hinter der Textauswahl steckt viel Forschungsarbeit, die der Verlag dem breiteren Lesepublikum in sehr ansprechender Form präsentiert. Dieses sehr schöne, auch sehr schön verschenkbare Lesebuch ist eine echte Bereicherung für jede Berlin-Bibliothek.

Dienstag, 24. August 2010

Wo ist Döblins Kopf?

„Das gefährlichste Organ des Menschen ist der Kopf“, wusste der Dichter und Nervenarzt Alfred Döblin. Folgerichtig bestand sein 1992 eingeweihtes Denkmal in Berlin nur aus einem Bronzekopf auf einem schlanken Steinsockel. Es markierte so ungefähr den Standort des verschwundenen Hauses an der Frankfurter, heute Karl-Marx-Allee, wo Döblin von 1919 bis 1931 wohnte und Patienten empfing. Seit Anfang Juli steht dort nur noch der Sockel. Döblins Kopf: abgesägt, spurlos verschwunden, ein Fall fürs die Polizei. Gut möglich, dass die Räuber bloß der Altmetallwert des Kopfes interessierte, man kennt solche Gestalten aus dem Roman „Berlin Alexanderplatz“ ganz genau. Der bettelarme Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg freilich weiß nicht, wo er das Geld für einen Nachguss von Döblins Kopf auftreiben soll. Kommissar Zufall, hilf! - Weitere Kulturrepublik-Kolumnen finden Sie hier. Morgen um 15 Uhr hält der Autor Michael Bienert den Eröffnungsvortrag des Historiale-Kongresses zum Thema "Berlin ist Benzin. Alfred Döblins Berlin." Mehr

Donnerstag, 19. August 2010

Tote sehen Dich an


Auf dem Parkplatz vor der ehemaligen US-Botschaft wird ein Park angelegt, aber vorher müssen die Toten umgebettet werden, die dort liegen. Vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg stand auf dem Geviert zwischen Mittel-, Schadow- und Neustädtischer Kirchstraße die Dorotheenstädtische Kirche, drumherum befand sich ein Kirchhof. Durch den Gitterzaun kann man den Archäologen bei der Arbeit zusehen und wenn man Glück hat - wie ich gestern - in ein geöffnetes Grab aus dem 18. Jahrhundert blicken. Der Kollege Lothar Heinke sich die Grabungsstelle genauer angesehen und im Tagesspiegel darüber berichtet. Mehr

Montag, 16. August 2010

Tacheles vor dem Aus


Die Tacheles-Ruine in der Oranienburger Straße steht 20 Jahre nach ihrer Besetzung durch Künstler vor der Räumung. Daran ist nicht allein die HSH-Nordbank schuld, die das Gebäude zwangsversteigern lassen möchte. Das Hauptproblem ist die Zerstrittenheit der Nutzer im Haus untereinander. Michael Bienert hat das Tacheles vergangene Woche besucht und berichtet heute für die STUTTGARTER ZEITUNG. Zum Artikel

Donnerstag, 12. August 2010

Die Mauer der Polen

Vom Osten gesehen ragte der Reichstag über den antifaschistischen Schutzwall, vom Westen gesehen verlief die Berliner Mauer gleich hinter dem Reichstag. Beide Perspektiven sind vor Ort nur noch schwer nachvollziehbar, trotz der Aufsteller mit historischen Fotos und der dezenten Mauerverlaufsmarkierung im Straßenpflaster. Dafür zieht seit vergangenem Jahr ein Stück roter Ziegelmauer an der Nordostecke des Reichstags die suchenden Blicke der Mauertouristen auf sich. Es stammt von der Danziger Leninwerft und würdigt die Solidarnosc-Bewegung als Wegbereiter der europäischen Einigung. Als der Präsident Lech Kaczynski und viele polnische Würdenträger im April bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, legten viele Trauernde an dem Mauerstück Blumen ab und zündeten Kerzen an. Ein Zeichen, dass die polnische Mauergedenkstätte am Bundestag keine Kopfgeburt der Politiker geblieben, sondern bei den Bürgern angekommen ist. - Mehr Kolumnen aus der Kulturrepublik lesen Sie hier.

Mittwoch, 11. August 2010

Betriebsgeheimnisse (7): Gelb ist nicht gleich Gelb


Unser Buch Die Zwanziger Jahre in Berlin sollte auch ein neues, frischeres Cover bekommen, um auszudrücken, dass es darin nicht nur um die Vergangenheit geht, sondern ebenso um das Nachleben der Epoche in der heutigen Stadt. Verschiedene Veränderungen wurden ausprobiert, schließlich kam eine grafisch sehr ansprechende Version auf den Tisch, als Hintergrundfarbe hatte die Grafikerin ein Bauhausgelb ausgesucht. Stimmt irgendwie nicht, spürte das Autorenpaar, bloß warum? Wahrscheinlich, weil man bei dem Gelb auf dem Buchumschlag spontan nicht ans Bauhaus dachte, sondern an Telefonbücher und Reclamhefte. Wir haben andere Buchumschläge studiert, uns vom Hersteller Farbproben ausgeliehen, schließlich risikofreudig ein frisches Gelb mit einem Stich ins Limettenfarbene ausgesucht, ohne ganz sicher zu sein, wie das dann am Ende ausschauen würde. - Glück gehabt, das Ergebnis ist schick, außerdem liegt das Buch gut in der Hand, es ist sauber gedruckt, gut gebunden: Ist halt ein richtiges Buch, mit allen Vorzügen, die kein E-Book bieten kann. Dazu gehört auch, dass die Farbqualität des Einbandes auf elektronischen Displays nicht richtig wiedergegeben wird, man muss ihn schon in die Hand nehmen... Buchinfos

Dienstag, 10. August 2010

Betriebsgeheimnisse (6): Die Zwanziger Jahre in Berlin, renoviert


Zum Geschichtsfestival Historiale erscheint unser Buch Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt in der 3. Auflage. Viel ist nicht zu ändern, aber die behutsame Aktualisierung macht dennoch eine Menge Arbeit, wie man an der abgebildeten Doppelseite zum Thema "Geschichte im Museum" erkennen kann (zum Vergrößern anklicken!). Als das Buch 2005 zum ersten Mal erschien, zeigte das Deutsche Historische Museum noch keine Dauerausstellung - jetzt gibt es sie, der Abschnitt über die Zwanziger Jahre musste eingeordnet werden. Seit 2008 zählen sechs Siedlungen der Moderne zum UNESCO-Weltkulturerbe, das musste ebenso berücksichtigt werden wie die erst im Juni erfolgte Umbenennung des Holtzendorffplatzes in Kracauerplatz. Buchinfos

Montag, 9. August 2010

Ziegel für Berlin


Seit dem Ausflug nach Mildenberg steht auf dem Schreibtisch ein kleiner Backstein, nur wenige Zentimeter groß. Aus rotem Ton perfekt geformt, für die Ewigkeit gebrannt: ein Stück Berliner Geschichte en miniature. Wer erkunden will, wo der Stoff herstammt, aus dem Berlin gemauert ist, sollte nach Norden fahren. Eine Stunde mit dem Auto, schon ist man mittendrin in der Zehdenicker Tonstichlandschaft. Elke Linda Buchholz hat die ehemalige Industrieregion und den Ziegeleipark in Mildenberg für den Tagesspiegel beschrieben. Zum Artikel

Dienstag, 3. August 2010

Auf das Verbrechen folgt - na was? - die Schuld...


Mit dem Erzählungsband Verbrechen, der auf Fällen aus seiner Praxis basiert, avancierte der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach über Nacht zum Beststellerautor. Filmrechte und Übersetzungen in 25 Länder sind verkauft, im November erhält Schirach mit dem Kleistpreis eine renommierte Auszeichnung. Der neue Band Schuld hat eine Startauflage von 100 000 Exemplaren. Nicht nur äußerlich, auch inhaltlich ist er ein Zwilling des Debüts, das ist Stärke und Makel zugleich. Michael Bienert hat das Buch in der STUTTGARTER ZEITUNG besprochen. Mehr