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Montag, 27. September 2010

Agenten unter Palmen

Die Tage von „Camp Nikolaus“ sind gezählt. So lautet der Tarnname der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, seit dessen Vorläufer, die „Organsation Gehlen“, am Nikolaustag des Jahres 1947 die ehemalige Rudolf-Heß-Siedlung bezog. Wie die künftige BND-Zentrale in Berlin heißen wird, ist noch streng geheim. Schon überragt die kantige Betonburg für 4000 Mitarbeiter die blickdichten Bauzäune der am schärfsten bewachten Baustelle der Republik. Kein Geheimnis mehr sind die Namen der Künstler, die den Koloss schmücken dürfen. Anette Haas und Friedrike Tebbe planen in endlosen Fluren eine Galerie monochromer Farbfelder, die BND-Tarnnamen tragen. An den Foyerwänden sollen Rätselbilder von Antje Thomas und Thomas Sprenger zu sehen sein, vor dem Haupteingang wird eine wuchtige Stahlplastik von Stefan Sous lagern wie ein von Außerirdischen abgeworfener Faustkeil. Auf der Terrasse zwischen der Gebäuderückseite und dem Flüsschen Panke will Ulrich Brüschke zwei Kunststoffpalmen aufstellen, 25 Meter hoch und nachts von innen leuchtend. Sie entrücken den Büroklotz optisch in die Tropen und wirken wie ironische Ausrufezeichen: Bürger, passt auf, dieses Haus steckt voller Mysterien! - Hier finden Sie ein Foto des Entwurfs und mehr Kulturrepublik-Kolumnen.

Montag, 20. September 2010

Architekten wählen einen Stadtplaner zum Präsidenten

Im Panorama-Café am Potsdamer Platz, 25. Etage, mit Blick über die ganze Stadt stellte sich am Montagvormittag der neue Präsident der Bundesarchitektenkammer vor. Sigurd Trommer, Jahrgang 1944, hat sich als langjähriger Stadtbaurat in Wolfsburg und Bonn einen Namen gemacht. Die Bundeskammerversammlung der Architekten wählte ihn am Wochenende einstimmig. Den Stadtplaner Trommer interessieren architektonische Geschmacksfragen weniger als das große Ganze: Er sieht in den globalen Herausforderungen durch Klimawandel, Ressourcenknappheit und Bevölkerungsexplosion eine gewaltige Aufgabe für seinen Berufsstand. Das Thema Architektur sei in den Schulen so wenig angemessen repräsentiert wie die Ausbildung an den Hochschulen zeitgemäß: „Wir produzieren akademische Knechte und nicht Leute mit dem Selbstvertrauen, unsere Welt zum Guten weiterzuentwickeln.“ - Mehr in der STUTTGARTER ZEITUNG von morgen.

Ein Denkfilm für Walter Benjamin

Walter Benjamins Aktentasche bleibt verschollen. Ihr Inhalt sei wichtiger als er selbst, sagte er seiner Fluchthelferin, ehe er sich vor 70 Jahren in den Pyrenäen vergiftete, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen. Andere von Freunden gerettete Nachlasspapiere haben Jahrzehnte später im Berliner Benjamin-Archiv zusammengefunden. Es bildet ein Denken ab, das sich leichthin zwischen extremen Polen bewegte: Proust und Brecht, Kindheitserinnerung und Philosophie, Marxismus und Theologie, Aura und Massenproduktion, Bild und Begriff. Weit über seinen Tod hinaus sorgt die spielerische Beweglichkeit dieses Denkens für Irritationen. Es lässt auch den Filmemacher David Wittenberg nicht los: Aus Anlass des 70. Todestag hat er seinen mittlerweile dritten Film über Benjamin gedreht, der heute gesendet wird. „Geschichten der Freundschaft“ zeichnet die intellektuelle Biografie entlang der intensiven Beziehungen zu Gershom Scholem, Bert Brecht und dem Ehepaar Adorno nach. Zu einem eingesprochenen Essay sieht man ruhige Bilder von Orten, die für Benjamin wichtig waren: Denkbilder von heute. - Heute auf arte, 23:50 Uhr, Wiederholungen am 26. September 2010 um 01:40 Uhr und 6. Oktober.2010 um 05:00 Uhr. Der 70. Todestag von Walter Benjamin ist der 26. September.

Mittwoch, 15. September 2010

Die verschwundene Grenadierstraße


Die Grenadierstraße galt bis zum Zweiten Weltkrieg als Hauptstraße der ostjüdischen Kolonie im Berliner Scheunenviertel. Der Name Grenadierstraße war in osteuropäischen Schtetln ebenso ein Begriff wie unter jüdischen Emigranten in Amerika. Heute sucht man ihn vergebens auf den Stadtplänen, seit DDR-Zeiten heißt die Straße Almstadtstraße nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer. Der Historiker Horst Helas hat ihr nun ein eigenes kleines Buch gewidmet (Die Grenadierstraße im Berliner Scheunenviertel: Ein Ghetto mit offenen Toren. Hentrich & Hentrich, Berlin 2010, 128 Seiten, 12,90 Euro), in dem er zuletzt einen 16 Jahre alten Vorschlag von Michael Bienert aufgreift: Eigentlich wäre es Berlin der verschwundenen Grenadierstraße und ihren deportierten und ermordeten Bewohnern schuldig, dass an den heutigen Straßenschildern wenigstens ein Hinweis auf den alten Namen angebracht wird. So etwas gibt es längst auch anderswo, zum Beispiel an der Taubertstraße in der Villenkolonie Grunewald, die von 1925 bis 1933 Rathenauallee hieß, nach dem in der Nähe von Rechtsradikalen ermordeten jüdischen Reichsaußenminister Walther Rathenau. - Michael Bienerts Tagesspiegel-Artikel über die Grenadierstraße in Martin Beradts Roman Beide Seiten einer Straße finden Sie in unserem Archiv.

Sammlergeschichten im Naturkundemuseum


Jakob ist ein Mädchen. Das kam aber erst heraus, als der Hauspapagei des Naturforschers Alexander von Humboldt ausgestopft werden sollte. Dreißig Jahre lebten die beiden in einem Haushalt. Nun sitzt Jakob weit besser konserviert als sein Herrchen in einer Vitrine im Berliner Naturkundemuseum. Gemeinsam mit der nach Humboldt benannten Berliner Universität feiert es in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. In einer farbigen Jubiläumsausstellung präsentiert das Haus die Geschichte seine Sammlungen, außerdem ist der wiederaufgebaute Ostflügel mit einem spekakulären neuen Schaudepot zu besichtigen. Mehr
P.S.: Zur Ausstellung ist ein opulentes Begleitbuch ("Klasse, Ordnung, Art", Basilisken Presse, 340 Seiten, 29.90 Euro) erschienen, in dem auch Michael Bienert mit zwei Beiträgen vertreten ist: einem Überblick über Berlin als Stadt der Wissenschaft um 1810 und einer stadthistorischen Recherche zur Gegend um die Invalidenstraße, in der das Museum für Naturkunde 1889 sein heutiges Quartier bezog.

Sonntag, 5. September 2010

Waldidylle eines Bürgerschrecks


Brechts Sommerhaus mit Garten in Buckow, eine knappe Autostunde vom Berliner Zentrum entfernt, ist ein anmutiges Ausflugsziel. Ein weiteres Künstlerhaus ganz in der Nähe kann seit dem Wochenende besichtigt werden. Auf Drängen Brechts baute sich der befreundete Montagekünstler und Grafiker John Heartfield im benachbarten Waldsieversdorf eine Datsche. Das verträumte Holzhäuschen unter Kiefern offenbart eine zarte, verletzliche und romantische Seite des Künstlers, der vor allem als aggressiver politischer Fotomonteur berühmt wurde. Lange stand die Hütte leer und drohte gänzlich zu vermodern. Die kleine Gemeinde und ein Freundeskreis kämpften 12 Jahre darum, das Heartfield-Haus als Gedenkstätte und Ort für Kulturveranstaltungen herrichten zu können, unterstützt von der Berliner Akademie der Künste, die das Interieur in ihrem Archiv verwahrte. Nun ist das Wohnzimmer mit Seeblick wieder gemütlich möbliert, in der geräumigen Küche können Ausstellungen gezeigt werden und in der Veranda Lesungen stattfinden - den Waldsierversdorfern sei Dank, denen der kommunistische Bürgerschreck John Heartfield als umgänglicher Mitbürger in Erinnerung geblieben ist. - Öffnungszeiten unter www.johnheartfield-haus.de. Lesen Sie den ausführlichen Artikel von Elke Linda Buchholz im Tagesspiegel hier.