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Mittwoch, 28. September 2011

Dunkles Friedenau

Kann man, darf man ein richtig schönes Lesebuch über Berlin in der Nazizeit machen? Hermann Ebling und Evelyn Weissberg ist dieses Kunststück mit ihrer erschienenen Anthologie Berlin Friedenau 1933-45 gelungen. Genau das richtige Buch, um an solchen trügerisch-sonnigen Herbsttagen auf einem Friedenauer Balkon, auf einer Parkbank oder im Café zu schmökern und sich zu vergegenwärtigen, wie brüchig die Vorstadtidylle einst war. Auf die zu einem Epochenpanorama montierten Originaltexte von Friedenauern wie Ludwig Meidner, Ingeborg Drewitz oder Friedrich Luft folgt im Buch ein etwa hundertseitiger Anmerkungsteil, der - ebenfalls gut zu lesen - die Texte ergänzt und kommentiert. Neben einem Namensverzeichnis gibt es ein Straßenverzeichnis, so dass man das Buch auch als literarischen Reiseführer ins dunkle Friedenau der Nazizeit benutzen kann. Eine vorbildliche Edition, inhaltlich genauso wie in puncto Buchgestaltung: Dass man dieses handliche, liebevolle gemachte Buch sehr gern anfasst und darin blättert, tut dem Anliegen, die Friedenauer über die Geschichte ihres Stadtteils aufzuklären, jedenfalls keinen Abbruch (Verlag Friedenauer Brücke, 384 Seiten, gebunden, 29 Euro). Evelyn Weissberg stellt das Buch am Freitag, dem 23. September in der Buchhandlung Der Zauberberg vor, die Veranstaltung ist allerdings schon ausverkauft.

Montag, 26. September 2011

Tür an Tür

Ein Drittel der Deutschen mag die Polen, das ergab eine aktuelle Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie. Etwa die Hälfte konnte sich nicht entscheiden, nur ein kleiner Rest findet Polen unsympathisch. Bei unseren östlichen Nachbarn kreuzten sogar 48 Prozent „Ich mag die Deutschen“ an. Zwanzig Jahre nach der vertraglichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und dem deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag hat sich das Verhältnis erstaunlich entspannt. Die erste polnische EU-Ratspräsidentschaft fällt mit diesen Jubiläen zusammen: Anlass für einen polnischen Kulturherbst in der deutschen Hauptstadt. „Tür an Tür“ heißt die Zusammenschau von tausend Jahren deutsch-polnischer Kulturgeschichte mit über 800 Exponaten im Martin-Gropius-Bau, gemeinsam erarbeitet mit dem Königsschloss in Warschau und Experten aus beiden Ländern. Lesen Sie die ausführliche Ausstellungskritik hier.

Montag, 19. September 2011

Im Theater (25): Rosmersholm

Alles so aufgeräumt hier. Als langjähriger Besucher der Berliner Volksbühne fremdelt man mit den renovierten und blitzblanken Foyers, wundert sich über die Beflissenheit des Abendpersonals, das jetzt in schwarzen Anzügen steckt, und blättert kopfschüttelnd im Hochglanzprogrammheft: Statt wie früher Pamphlete feuerköpfiger Dramaturgen liest man Ibsens eigene Ansichten über sein Stück „Rosmersholm”, neben Deutungen von Strindberg, Hofmannsthal und Freud. Andere Theater machen es ja auch so, aber die Volksbühne kultivierte jahrelang einen ganz anderen Stil. Instinktiv rechnet der Stammgast eher mit einem Klaps auf den Kopf, einem Tritt gegen das Schienbein, jedenfalls Opposition gegen Unterhaltungs- und Bildungsbedürfnisse eines bürgerlichen Publikums. Laut, schrill oder anstrengend wird der ganze lange Theaterabend nicht, den der Regisseur Leander Haußmann der kriselnden Volksbühne geschenkt hat. Will er die Kreditwürdigkeit des Hauses beim Publikum retten, das unter Kapitän Castorf unaufhaltsam auf den künstlerischen Bankrott zuzutreiben schien? Statt Dekonstruktion liefert Haussmann die liebevolle Rekonstruktion einer versunkenen Bürgerwelt aus dem 19. Jahrhundert, statt mit lautstarker Besserwisserei überrascht er durch geduldiges Verstehenwollen dessen, was Ibsen seinerzeit sagen wollte. Lesen sie die gesamte Aufführungskritik hier.

Freitag, 16. September 2011

Von Sofa zu Sofa - ab heute im ZDF

Das neue Literaturmagazin im ZDF-Hauptprogramm strebt nach Höherem. 3240 Meter über dem Meeresspiegel spricht Moderator Wolfgang Herles mit Ilja Trojanow über dessen Roman „EisTau“, der von einem Gletscherforscher erzählt (Foto). Durch die Erderwärmung schmelzen der Forschungsgegenstand und damit auch der Lebensmut des Protagonisten dahin. Mit dem Fernsehteam ist ein blaues Sofa in die Südtiroler Alpen zum Lieblingsgletscher der Figur gereist. Auf blauen Polstern hat Wolfgang Herles in den vergangenen Jahren während großer Buchmessen schon etliche Autorengespräche geführt, jetzt macht das ZDF dem Möbel richtig Beine: Sechs Sendungen pro Jahr sind geplant, für jede soll das Sofa zu zwei literischen Schau- oder Schreibplätzen transportiert werden.

Dienstag, 13. September 2011

Im Theater (24): Winterreise

Die alte Leier! Wer will sie noch hören? Das fragt sich die Ich-Stimme am Schluss von Elfriede Jelineks acht „Winterreise“-Monologen, für die sie im Juni mit dem renommierten Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde. Auf der großen Bühne des Deutschen Theaters richtet die Schauspielerin Annette Paulmann die Frage direkt ins Publikum, mit leiser Dinglichkeit: Ach bitte, liebe Leute, seht es mir nach, dass ich Euch fast drei Stunden mit meinem Wortgeleier auf die Nerven gegangen bin, ich kann nun mal nicht anders. In diesem finalen Augenblick trifft die Aufführung einen Ton, der direkt berührt. Doch die Stimmung drehen – wie ein erlösendes Tor in der Nachspielzeit eines zerfahrenen Fußballspiels – kann der gelungene Abgang nicht. Bleiern lastet die verstrichene Zeit auf dem Gemüt. Wann nimmt es endlich ein Ende? Zu oft hat man sich das vorher gefragt. Lesen Sie die gesamte Kritik auf www.text-der-stadt.de

Montag, 12. September 2011

In weiter Ferne, so nah

Unter diesem Titel stellt eine Ausstellung in der BDA Galerie in der Mommsenstraße 64 zehn realisierte Projekte von Landschaftsarchitekten in den Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf vor. Zur Eröffnung heute abend um 19 Uhr spricht Michael Bienert über seine Erfahrungen als Grünanlagen-Flaneur im Osten Berlins. Die Eröffungsrede dokumentieren wir hier. Am kommenden Wochenende bietet der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten im Rahmen des Programms Gartenwelten Führungen zu den Projekten an, das Programm finden Sie hier. Dem grünen Marzahn widmet sich auch ein Kapitel in unserem Buch Stille Winkel in Berlin, außerdem ist auf unserer Website ein Text über den im Sommer eröffneten Christlichen Garten in Marzahn nachzulesen. Das Foto zeigt eine dauerhafte Kunstinstallation auf dem neu gestalteten Peter-Weiss-Platz, nicht weit vom U-Bahnhof Hellersdorf.

Freitag, 9. September 2011

Lieber Traumfänger als Terrorist

Im Literaturhaus Berlin hat der Schauspieler Christopf Wackernagel am Mittwochabend sein Buch "Es" vorgestellt, Michael Bienert war dabei und hat den schweren Brocken angelesen, hier sein Bericht aus der STUTTGARTER ZEITUNG von heute:

Neulich war im Privatfernsehen zu bestaunen, wie Franz Beckenbauer vor einem Fußballspiel werbewirksam mit einem Exemplar der neuen Chronik des FC Bayern beschenkt wurde, einem monströsen Hochglanzband in Mahagonioptik, neben dem selbst der Kaiser wie ein Liliputaner wirkte. Wem 2999 Euro für die interessante Erfahrung zu viel sind, als Leser zum Zwerg gemacht zu werden, kann sich für nur 248 Euro auch das Opus magnum des Schauspielers, Ex-RAF-Terroristen und Schriftstellers Christof Wackernagel liefern lassen: Mit viereinhalb Kilo ist der fünf Zentimeter dicke Folioband schwer genug, um sich zu verheben. Schon einen bequemen Ort und eine Körperposition zu finden, um darin zu blättern, stellt eine Herausforderung für den Leser dar.

Mittwoch, 7. September 2011

Ein Papstbesuch wirkt Wunder

In der Dresdner Gemäldegalerie trifft die Sixtinische Madonna auf hochkarätige Kolleginnen, gemalt von Correggio, Dürer, Grünewald und Cranach. Dass auch Raffaels Madonna di Foligno den Vatikan verlassen und an die Elbe reisen durfte, nennen Experten ein Wunder - der Papst machts möglich. Michael Bienert hat das Madonnen-Gipfeltreffen in Dresden besucht, lesen Sie seinen ausführlichen Bericht aus der STUTTGARTER ZEITUNG.

Dienstag, 6. September 2011

Wie ein Tsunami im Mondlicht

Gewaltig baut sich die Woge auf, schäumt mit Wellenkämmen wie Raubtierkrallen empor und wird im nächsten Augenblick die schlanken Ruderboote in die Tiefe reißen, die schon jetzt in den aufgepeitschten Wassermassen kaum noch auszumachen sind. Dass im Hintergrund die Silhouette des Fuji aufragt, bemerkt man erst auf den zweiten Blick: als Pointe eines virtuosen Bildregisseurs, der sein Publikum immer wieder zu verblüffen verstand. "Die große Welle von Kanagawa" aus der Serie "36 Ansichten des Berges Fuji" ist das berühmteste Werk des damals über 70-jährigen Holzschnittmeisters Katsushika Hokusai. Nach den jüngsten Tsunami- und Erdbebenkatastrophen Japans sieht man das großformatige Blatt anders. Aber: Es bleibt ein atemberaubendes Bild, dramatisch und anmutig zugleich. Kein Wunder, dass Maler wie Manet, Monet, Degas und van Gogh sich für die japanischen Farbholzschnitte begeisterten, die im 19. Jahrhundert nach der Öffnung des jahrhundertelang abgeschotteten Japan in den Westen gelangten. Claude Monet trug über zweihundert Blätter zusammen, Claude Debussy ließ sich von Hokusais "Großer Welle" zu seiner Komposition "La Mer" inspirieren. Lesen Sie die Ausstellungskritik von Elke Linda Buchholz aus der STUTTGARTER ZEITUNG hier weiter. Das Bild zeigt den Umschlag des Ausstellungskatalogs aus dem Nicolai Verlag.

Montag, 5. September 2011

Mit Journalisten durchs Zeitungsviertel

Am schönsten sind die Stadtführungen, bei denen man als Guide selber viel hinzulernt - so geschehen am vergangenen Wochenende bei einer Tour durchs Zeitungsviertel mit 20 Kollegen der Journalistenverbände JVBB und DJV Berlin. Einige hatten den Mauerbau, den Bau des Springer-Hochhauses oder die Studentenunruhen im April 1968 miterlebt und ergänzten den Vortrag um Augenzeugenberichte. Andere erweiterten die Sicht auf das Viertel um die Perspektive von Ostberlin aus, wo auch schon vor 1989 zwischen Zimmerstraße und dem "Haus der Presse" (im heutigen Admiralspalast) Schlagzeilen fabriziert wurden. Nach dem zweistündigen Stadtrundgang nahm sich Gerd Nowakowski vom "Tagesspiegel" eine weitere Stunde Zeit, das Verlagsgebäude am Askanischen Platz von innen zu zeigen und Fragen zu beantworten. Bilder von der Tour und einen ausführlicheren Bericht finden Sie auf der JVBB-Homepage.