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Montag, 28. November 2011

Kriegslandschaften

Der Krieg, den Deutschland in Afghanistan führt, hat kein Gesicht. Wie andere kriegführende Staaten errichtet die Bundesrepublik eine bilderlose Tabuzone um die Verwundeten und Gefallenen. Der radikale Pazifist Ernst Friedrich hat mit diesem Tabu gebrochen, als er nach dem Ersten Weltkrieg in seinem Berliner Anti-Kriegs-Museum und in dem Buch Krieg dem Kriege die Fotos von zerschossenen Soldatengesichtern publik machte. Die Fotografin Sabine Würich knüpft in ihrem Zyklus kriegslandschaften behutsam daran an: Sie kombiniert Aufnahmen von Gesichtsverletzten aus dem Zweiten Weltkrieg, die eine Kölner Ordensschwester hinterließ, mit eigenen Fotos des Hürtgenwaldes, wo gegen Kriegsende erbittert gekämpft wurde. Würich geht sehr viel skrupulöser mit ihrem Material um als seinerzeit Friedrich, aus ihren Bildmontagen spricht eher eine stille Trauer als ein pazifistischer Aufschrei. Ein weiterer Bildzyklus zeigt Orte der politischen Geschichte in Berlin, kombiniert mit Kinder- und Jugendfotos prominenter Akteure wie Bismarck, Hitler, Ulbricht und Honecker. Bis 22. Januar 2012 täglich von 16 bis 20 im Anti-Kriegs-Museum, Brüsseler Straße 21.

Freitag, 25. November 2011

Neue Karten für virtuelle Räume

"The conventional map is useless", tönt es uns von Plakaten entgegen, was uns natürlich aufschreckt, da wir Karten-Liebhaber sind und von Zeit und Zeit an Orientierungsplänen für Berlin arbeiten, insbesondere an Stadtkarten zur Berliner Literatur- und Kulturgeschichte. Aber man sieht es ja überall, statt mit gedruckten Karten und Reiseführern sind immer mehr Leute mit mobilen Navigationssystemen in der Stadt unterwegs. Das Haus der Kulturen der Welt zeigt nun eine Ausstellung samt umfangreichem Begleitprogramm zur Tracing Mobility: Cartography And Migration In Networked Spaces, kuratiert von der Medienagentur Trampoline. Mit mehreren Arbeiten ist der britische Künstler Simon Faithfull vertreten: Die Zeichnungen, die er auf seinen Reisen auf seinem Smartphone anfertigt, verschickt er umgehend mit Ortsmarkierung an seine Fans, früher per E-Mail, inzwischen mit Hilfe einer iPhone App - so entsteht ein "expanding Atlas of Subjectivity". Das Künstlerduo Sophia New und Daniel Belasco Rogers (alias plan b) speichert seine sämtlichen GPS-Bewegungsdaten und zeichnet während der Ausstellungsdauer von Hand zwei subjektive Berlin-Karten aufs Basis dieses Materials (Foto). Gordon Savivic hat sich eine Art Korsett gebaut, das die elektromagnetischen Wellen der zahlreichen WLAN-Netze bei Gang durch die Stadt auffängt und körperlich fühlbar macht. Aram Bartholl überträgt einen virtuellen Raum aus dem Computerspiel Counter Strike, in dem sich täglich viele Leute herumtreiben, in ein 3-D-Modell zum Anfassen. Würde man diese virtuelle Architektur im Maßstab 1:1 bauen, hätte sie ein Ausmaß von ca. 115 mal 110 Metern. Ortsbezogene private Videos und Texte, die im Netz auftauchen, archiviert die Kandadierin Michelle Teran: Für die Ausstellung hat sie einen großen Tisch mit den Umrissen von Berlin-Mitte bauen lassen, auf dem sich solche Fundstücke stapeln, zum Betrachten und Schmökern einladen wie ein anonymer Berlin-Roman. Die Ausstellung mit Arbeiten von 16 Künstlern bietet viele interessante Hinweise darauf, was sich im virtuellen Raum gerade so tut, eines allerdings bietet sie nicht: Orientierung. Bis 12. Dezember, hier gehts zum Programm.

Stadtbild - Made in Berlin

Rechtzeitig zu Weihnachten hat der Berlin Story Verlag einen Fotoband herausgebracht, den man guten Gewissens verschenken kann, weil er kein nostalgisches oder inszeniertes Berlin zeigt, sondern die Stadtoberfläche so, wie sie wirklich ist: von tausend anonymen Autoren wild betextet, von tausend anonymen Künstler mit irrwitzigen Rauminstallationen bestückt, von Street Artists in ein Open-Air-Galerie verwandelt, von fleißigen Verwaltungsbeamten mit kuriosen Hinweisschildern zugestellt... Die Schweizer Fotografen Dainel Spehr und Kathrin Schulthess sind als ethnologische Feldforscher durch die Hauptstadt gezogen und haben die wahren Wahrzeichen Berlins in großartigen Bilderserien dokumentiert: den bunt besprühten Hauseingang, den mit Stickern beklebten Kaugummiautomaten, das am Straßenrand abgestellte Fahrrad, den überquellenden Papierkorb, die bemalte Satellitenschüssel, den wild verschönerten Balkon, die zum Kiosk oder Beerdigungsinstitut umgewandelte Eckkneipe. Eine tolle, prallbunte Schule des Sehens ist dieses unterhaltsame Bilderbuch, das keinerlei erklärenden Text nötig hat. Zur Verlagsseite

Dienstag, 22. November 2011

Kaiserzeit und Moderne

Neben dem Friedrich-Denkmal Unter den Linden sieht es heute fast genauso aus wie auf dem gut 100 Jahre alten Foto links: Die damals errichtete Staatsbibliothek wird neuerlich hübsch gemacht. Einige solcher überraschenden Aufnahmen aus dem wilhelminischen Berlin zeigt Michael Bienert heute im Rahmen der Veranstaltungsreihe STADT LAND BUCH. In der Buchhandlung Berlin Story (Unter den Linden 40) stellt er ab 18 Uhr sein Buch "Kaiserzeit und Moderne" vor, der Eintritt ist frei.

Montag, 21. November 2011

Der Stein der Weisen

Sogar an das Weihnachtsgeschenk für Ihren Gatten hat Henriette Vogel noch gedacht. „Der bekannte Kleist und ich befinden uns hier bei Stimmigs auf dem Wege nach Potsdam, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen daliegen“, schrieb sie am 21. November 1811 dem gemeinsamen Bekannten Ernst Friedrich Peguilhen nach Berlin. Sie beauftragte ihn, für den Ehemann eine Porzellantasse mit ihren Namen in Auftrag zu geben und sie ihm am Heiligen Abend zuzuschicken.

Samstag, 19. November 2011

Mit Kleist in der "taz"

Als "Profi im Visualisieren historischer Stadtlandschaften" lobt Nina Apin Michael Bienert in einer langen Reportage über eine gemeinsamen Stadtspaziergang auf Kleists Spuren in Berlin. Sowas hören wir gern. Den Artikel lesen Sie hier in der taz.

Dienstag, 15. November 2011

Mit Kleist im Fernsehen

Heute war Drehtag mit dem rbb-Fernsehen, das am kommenden Samstag um 19 Uhr im "Heimatjournal" ein Special zum 200. Todestag Heinrich von Kleists sendet. Mit der Moderatorin Carla Kniestedt (Foto) ging es zur ehemaligen Ausgabestelle der "Berliner Abendblätter", zur Humboldt-Universität und zum Gendarmenmarkt, bereits letzte Woche drehte ein Team an der Mauerstraße, am Rathaus und sogar in unserem häuslichen Berlin-Archiv. Wir sind gespannt, was daraus geworden ist. Wer die Sendung verpasst, kann sie hinterher auch noch auf der rbb-Website anschauen.

Montag, 14. November 2011

Im Theater (28): Pauschalreise - Die 1. Generation

Langweilige Leute, diese vor Jahrzehnten nach Deutschland eingewanderten Türken, findet die junge Frau aus der Enkelgeneration und will zurück in die Türkei, das Land ihrer Vorväter. Ihr anatolischer Opa zieht mit seiner Lebensabschnittsgefährtin durch Berliner Swingerclubs, weil es da schön warm ist, pfui. Eine andere junge Deutschtürkin gibt sich als Volkszählerin aus, um Zutritt zur Wohnung von "Berlin Bülbulu" zu bekommen, einer alten Frau, die von 500 Euro Rente in einer Kreuzberger Wohnung lebt. Die Wohnung ließe sich lukrativ verkaufen, wenn man die betagte Immigrantin rausschmeißt. "Berlin Bülbulu" heißt soviel wie Berliner Nachtigall, das ist der Chatname der Dame, die alten türkischen Männern am Telefon Lieder aus der Heimat vorsingt. Zufällig hatte sich "Einsames Herz 61" in sie verliebt, der Opa der angeblichen Volkszählerin, die in Wahrheit den Schätzwert der Wohnung ermitteln soll. Nun liegt er auf einem Berliner Friedhof begraben.
Derart sind die Geschichten, die uns die Akademie der Autodidakten am Ballhaus Naunynstraße zum 50. Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens erzählt. Der Schauplatz ist ironischerweise ein siebter Himmel: Der Boden der Bühne wolkig beflockt, ein gemalter Wolkenhorizont bildet die Kulisse, davor steht eine Parkbank. Da sitzt ein alter Opa mit seiner Enkelin, die für ihn ins Deutsche übersetzt, denn in der Arztpraxis der türkischstämmige jungen Hausärztin wird prinzipiell Deutsch gesprochen. Außerdem steckt sie voller Ressentiments gegen die türkischen Immigranten, für die einem deutschen Arzt sofort die Approbation entzogen werden würde. In der letzten Szene der Jubiläumsrevue nehmen drei türkische Mütter auf der Bank Platz und erzählen die herzzerreißende Geschichte eines Jungen, der am ständigen Hin- und Hergeschobenwerden zwischen den Eltern in Deutschland und der Verwandtschaft in der Türkei irre geworden ist. - Ein kurzweiliger, von Lukas Langhoff klug inzenierter Abend, der von Szene zu Szene auch schauspielerisch immer stärker wird. Die Jungen (Kader Arslan, Muart Dikenci, Çidem Topbaş, Duygu Şebnem İnce) haben es nicht ganz leicht neben den Alten (Serpil Şimşek Bierschwale, Nuri Sezer, İdil Laçin, Sema Poyraz), die mit großer Ruhe und subtilem Humor ihre Lebenserfahrung als Immigranten in Deutschland ausspielen.
"Pauschalreise - Die 1. Generation" von Hakan Savaş Mican, nächste Vorstellungen vom 28. bis 31. 12. 2011. Hier gehts zum Spielplan und zum Videotrailer.

Samstag, 12. November 2011

Der geteilte Himmel der Neuen Nationalgalerie

Wer in Berlin künftig Meisterwerke von Otto Dix, George Grosz oder Max Ernst sehen will, wird sie in der Neuen Nationalgalerie nicht finden. Die Klassische Moderne wurde ins Depot verfrachtet, damit die nächste Generation Platz hat. Um die immensen Bestände auszubreiten, ist der Mies-van-der-Rohe-Bau längst zu klein. Durch die Wiedervereinigung sind zwei komplette, mit unterschiedlichem Profil gewachsene Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts aus Ost und West zusammengekommen. Als Notbehelf hat der Sammlungschef Udo Kittelmann (Foto) ein Rotationssystem ersonnen. In einer Ausstellungstrilogie wurde zunächst die erste Jahrhunderthälfte vorgeführt, nun folgt die Nachkriegsära, von Frühjahr 2013 an kommt die Kunst des letzten Jahrhundertdrittels zum Zug.
Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“ liefert den zugkräftigen Titel für die neu sortierten Bestände. Schon im Foyer prallen die Kontrahenten aufeinander: Ost und West, Figuration versus Abstraktion treten sich in Gestalt zweier Großformate von Willi Sitte und Rupprecht Geiger gegenüber. „Rot!“, schreit Geigers monochromes Farbfeld. Auch Sitte setzt die Signalfarbe flammend in Szene, allerdings als symbolträchtige Aura um eine kämpfende Proletariergestalt, gemalt im Auftrag der VEB Leunawerke. Zwischen diesen Polen öffnet sich der Weg in die Ausstellung. Lesen Sie die vollständige Kritik von Elke Linda Buchholz aus der STUTTGARTER ZEITUNG von heute hier online.

Dienstag, 8. November 2011

Stadt Land Buch

Vom 19. bis 27. November finden unter dem Motto STADT LAND BUCH in Berlin und Brandenburg 140 Literaturveranstaltungen statt, ausgerichtet vom Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Das gesamte Programm steht hier zum Download bereit. Wir stellen unsere Bücher Kaiserzeit und Moderne und Die Zwanziger Jahre in Berlin vor, beide Veranstaltungen (am 22. und 24. November) beginnen um 18 Uhr in der Buchhandlung Berlin Story.

Montag, 7. November 2011

Im Theater (27): Armes Käthchen!

Mit Jan Bosses Inszenierung von Das Käthchen von Heilbronn ist das Kleist-Festival rund um das Maxim-Gorki-Theater eröffnet worden, es dauert noch bis zum 21. November. Heute berichtet Michael Bienert in der STUTTGARTER ZEITUNG ausführlich über die Inszenierung und das Spektakel drum herum, lesen Sie seine ausführlich bebilderte Kritik auf www.text-der-stadt.de. Das Foto zeigt den Regisseur Jan Bosse und die Dramaturgin Gabrielle Bußacker während einer Probe vor dem Bühnenbild.

Freitag, 4. November 2011

Der lange Atem der Außenseiterin

Wenn Berufsverbände Preise an Mitglieder ihres Berufsstandes verleihen, riecht das fast immer ein bisschen nach Selbstvermarktung. Gestern abend im Radialsystem war das aber anders, denn der Journalistenpreis Der lange Atem, vergeben vom Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB), würdigt etwas, was im schnelllebigen Medienalltag immer seltener wird: Beharrlichkeit, Geduld, Zähigkeit und Eigensinn. Das hat die - mit Chefredakteuren wichtiger Berliner Medien prominent besetzte - Jury beherzigt und einer sichtlich überraschten Außenseiterin des Betriebs den 1. Preis zuerkannt: Nadja Klinger, freie Autorin beim Tagesspiegel, die seit Jahren über die Armut in Deutschland schreibt, in einer genauen, einfühlsamen, bilderreichen Sprache. Eine Entdeckungsreisende im Alltag vor der eigenen Haustür, die ihren Leser Schicksale von Hartz-IV-Empfängern, Leiharbeitern oder allein erziehenden Müttern nahe bringt, über die man sonst lieber hinwegsieht. Texte von Nadja Klinger aus dem Tagesspiegel finden Sie hier. - Der zweite Preis ging an den Onlinejournalisten Yassin Musharbash für seine Berichterstattung über den Dschihadistischen Terrorismus, der dritte Preis an den hartnäckig recherchierenden Lokaljournalisten Ulrich Wangemann von der "Märkischen Allgemeinen".

Donnerstag, 3. November 2011

Berliner Nachtarbeiter

Die in Berlin lebende französische Fotografin Amélie Losier war am Montag bei einer Kleist-Stadtführung für die "taz" mit dabei, wir warten gespannt auf ihre Aufnahmen. Heute abend eröffnet sie eine Ausstellung mit Fotos vom Berliner Nachtleben der rauheren Art: Nicht ins Partyleben hat sie sich gestürzt, sondern das unermüdlich arbeitende Berlin beobachtet. Diese und andere Reportageserien aus Berlin sind teilweise auch online zu sehen, die Abzüge im Hotel Bogota, Schlüterstraße 45, bis 15. Januar. Die Vernissage beginnt heute um 19 Uhr.

Noch ein Kleistpark

Mit einem Veranstaltungsmarathon rund um das Maxim-Gorki-Theater steuert Berlin auf den 200. Todestag des Dichters Heinrich von Kleist an 21. November zu. Rund um das Theater ist eine Art Kleist-Themenpark entstanden, der morgen eröffnet wird. Beim Pressetermin gestern durften wir bereits den Irrgarten aus Tarnnetzen hinter dem Theater (Foto) und die Tronkaburg aus alten Theaterkulissen besichtigen. Wer einem Lieblingstext von Kleist seine Stimme geben möchte, kann sich dabei von der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi filmen lassen. Mehr zum Programm auf der Homepage des Maxim-Gorki-Theaters.