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Montag, 18. März 2013

Im Theater (45): Die Gladowbande am Maxim-Gorki-Theater

Intendant Armin Petras verlässt das
Maxim-Gorki-Theater zum Spielzeitende.
Von Michael Bienert. Von der Bühne weht süßlicher Popcornduft in den Zuschauerraum. Auf dem Proszenium stehen Kinosessel für die Schauspieler, und als sich der hellblaue Vorhang öffnet, wird eine mit gemusterten Vorhängen und Bettlaken ausgeflickte Kinoleinwand sichtbar. Wochenschaubilder vom zerstörten Nachkriegsberlin flackern darauf, in apokalyptischen Schutthaufen schuften Trümmerfrauen. Die Stadt sieht nicht so aus, als könnte sie je wieder aufgebaut werden. Später flimmert über die Leinwand eine irre Schießerei mit Maschinenpistolen aus einem Al-Capone-Film. Der legendäre Mafiaboss war so etwas wie eine Ersatz-Vaterfigur für den jungen Werner Gladow, der mit seiner Bande das Nachkriegsberlin unsicher machte. Gladow war vierzehn, als der Krieg zu Ende ging, mit neunzehn wurde er als gefährlicher Schwerverbrecher geköpft.
Im improvisierten Kino entdecken Gladow und seine Jungs, wofür zu leben und sterben sich vielleicht lohnt. Nicht für die Gesetze der anderen, sondern für die Freiheit, eine Zeit lang rücksichtslos nach eigenen Regeln zu handeln. Lieber berühmt und berüchtigt als brav und angepasst: Schillers 'Räuber' lassen grüßen!
Doch der künftige Stuttgarter Theaterchef Armin Petras, der die Geschichte der Gladowbande als Abschiedsgeschenk an Berlin zu einem Stück verarbeitet hat, geht lässiger als der junge Schiller mit seinem Stoff um. Statt dramatisch zuzuspitzen, lässt er die Ereignisse Revue passieren. Und auch dem Regisseur Jan Bosse steht nicht der Sinn nach einem Abend mit allzu viel Tiefgang. Die Räuberpistole wird mit viel Theatermunition munter nacherzählt, aber nicht als packende Tragödie einer verlorenen Generation, sondern als unterhaltsames Volkstheater.
Das hat am Maxim-Gorki-Theater eine gute Tradition. Unvergessen sind Harald Juhnke als Hauptmann von Köpenick, Ben Becker als Franz Biberkopf in 'Berlin Alexanderplatz', Katharina Thalbach als Frau John in den 'Ratten' auf dieser Bühne. Die Underdogs von Berlin, verkörpert von populären Schauspielern in prallen Inszenierungen, das hat dem kleinsten Berliner Staatstheater immer wieder sehr großen Zulauf beschert. Nach diesem Erfolgsmuster für die Volksseele ist auch die 'Gladowbande' gestrickt.
Mit Milan Peschel als Frontmann besitzt die Inszenierung einen perfekt besetzten Dreh- und Angelpunkt. Peschel spielt nicht den Bandenchef Gladow, sondern Diamanten-Sohni, den einzigen Überlebenden. Weil er ausstieg, kurz bevor die Polizei zuschlug, wurde er nur zu 15 Jahren Zuchthaus verknackt und machte später Karriere im Boxgeschäft. Wunderbar trifft Peschel den rauen, rotzigen Berliner Proletenton. Ein Urberliner, wie er im Buche steht, aber im heutigen Berlin kaum noch aufzuspüren ist.
'Bei mir sind keine Einzelteile kaputt. Det Janze is hin', stellt sich Sohni vor. Aber davon lässt sich ein waschechter Hauptstadtprolet nicht unterkriegen! Hinter der Kodderschnauze blitzt die persönliche Tragödie auf: Die tolldreisten Beutezüge mit dem Gangster Gladow waren das Beste, was Sohni im Leben begegnet ist, dafür liebt er ihn Jahrzehnte später immer noch. Ein kleiner, altersloser Boxer, der einem Toten nachtrauert.
Ein hübscher Junge ist dieser Werner Gladow. Klassische Bösewichte sehen anders aus. Rücksichtslos, gewissenlos, skrupellos geht der Junge seinen Weg, weil ihm jedes Unrechtsbewusstsein fehlt. Wo soll er es nach dem moralischen Zusammenbruch der Nazizeit und den Erfahrungen auf dem Schwarzmarkt auch hernehmen?
'Die wirklichen Verbrecher sind die da draußen, die weitermachen, weitermachen, arbeiten gehen und nicht leben können, die einfach zu feige sind, was auszuprobieren, und jeden, der es versucht, sofort umbringen wollen', davon ist Gladow (Johann Jürgens) überzeugt. Die Ohrfeigen seiner Mutter (Sabine Waibel), bei der er bis zu seiner Verhaftung wohnt, lässt er stoisch über sich ergehen. Sie hat so wenig Macht über ihn wie der kriegsversehrte Vater (Martin Otting). Gladow steht nicht im Konflikt mit Autoritäten, ungebremst ist seine Gier nach dem Adrenalinkick, die ihn zu immer riskanteren Beutezügen treibt.
Diese Gradlinigkeit macht Gladow als Figur eindimensionaler als Sohni, der irgendwann spürt, dass die Bande in eine wahnwitzige Parallelwelt abdriftet und den Absprung riskiert. Auch das Bandenmitglied Kurt Gäbler, ein desertierter U-Boot-Soldat (Robert Kuchenbuch), ist nicht nur ein eiskalter Krimineller. In Italien hat er die Schwarze Katja (Svenja Liesau) aufgelesen, eine Möchtegernsängerin, in die alle Bandenmitglieder irgendwie verknallt sind, die aber keinen an sich ranlässt. Damit kommt wenigstens ein bisschen unglückliche Liebe ins Spiel und eine Frauenfigur, die immer wieder neu als erotische Männerfantasie herausgeputzt wird, aber ihr Geheimnis nicht preisgibt.
Grobschlächtige Karikaturen bleiben Bomme (Bastian Reiber), der Mann fürs Grobe in der Gladowbande, und der plumpe Kommissar Schütze (Ronald Kukulies) auf Verbrecherjagd. Thomas Lawinky als Gustav Völpel spielt den korrupten Mitläufer, der sich geschickt durchlaviert: In der Nazizeit hat er als Scharfrichter gearbeitet, als Polizeispitzel im Nachkriegsberlin sucht er den Kontakt zur Gladowbande, schließlich setzt er sich mit Katja ins Ausland ab und wird ihr Manager.
Alle sind sie genauso egoistisch auf ihren Vorteil bedacht und immun gegen Gewissenskonflikte wie der Bandenchef Gladow, damit passen sie prima in die anbrechende Wirtschaftswunderzeit. Gladow aber hat das Pech, dass die beiden deutschen Staaten, die sich 1949 in Ost und West etablieren, ihr Gewaltmonopol durchsetzen wollen. Für kleine Al Capones ist definitiv kein Platz mehr in Berlin.
Um Gladow zu fassen, arbeiten die Polizeien in beiden Stadthälften zusammen. Um ihn endgültig zur Strecke zu bringen, reaktivierte die DDR-Justiz sogar einen Gesetzesparagrafen aus der Nazizeit, der auch für Taten Minderjähriger die Todesstrafe zuließ.
Ein netter Abend für die Berliner, diese zweieinhalb munteren Lehrstunden in Lokalgeschichte. Die Stuttgarter dürfen sich auf einen Theaterchef freuen, der sich intensiv auf die Orte einlässt, an denen er arbeitet - was ja keine Selbstverständlichkeit ist. Und wenn das Schwäbische nur halb so gut rüberkommt wie das Berlinerische jetzt in der 'Gladowbande', dann dürfte ihn auch die Schwabenmetropole rasch ins Herz schließen.

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Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 18. März 2013



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