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Dienstag, 5. März 2013

Spiderman auf Speed: Martin Kippenberger im Hamburger Bahnhof

Das Zelt vor dem Hamburger Bahnhof gehört
nicht zur Kippenberger-Ausstellung, sondern
zu Martin Honerts "Kinderkreuzzug"
Sechzig Jahre sind doch kein Alter! Die Leute werden immer älter, von den heute lebenden Deutschen sollen nach Berechnungen von Demografen acht Millionen ihren 100. Geburtstag erleben. Allerdings gibt es auch Leute, die sich dem Trend zur Lebensverlängerung widersetzen. So einer war Martin Kippenberger. Vor sechzig Jahren im Ruhrpott geboren, ist er nun schon seit 16 Jahren tot.
Der Mann hatte es eilig: Schon zu seinem 25. Geburtstag brachte er im Selbstverlag das Buch „Vom Eindruck zum Ausdruck. Ein Vierteljahrhundert Kippenberger“ heraus. Rasend schnell und viel produzierte der Allroundkünstler zu Lebzeiten, rasend stiegen die Preise auf den internationalen Kunstmarkt nach seinem Tod. Nur an der Kunstmetropole Berlin ging der Boom bisher vorbei. Nun versucht sich nach der Tate Modern in London (2006) und dem MoMa in New York (2009) auch die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof an einer Retrospektive. Der 60. Geburtstag ist im schnelllebigen Kunstbetrieb ein willkommener Vorwand. Leider, denn so richtig ausgereift wirkt das Unternehmen nicht. Zeit und Mittel haben nicht gereicht, einen hilfreichen Katalog oder Ausstellungsführer zu produzieren, geschweige denn Kippenbergers Werk kritisch zu hinterfragen.

„Sehr gut / Very good“ – der ironische Titel der Retrospektive passt zum Riesen-Ego des Künstlers. Sein Urteil „Sehr gut!“ steht mit weißem Lackstift auf elf Werken einer Rauminstallation, die nach Anweisungen Kippenbergers aufwändig rekonstruiert wurde. Elf weiß grundierte Leinwände sind fugenlos in die weißen Ausstellungswände eingelassen, darauf entziffert man in Kinderschrift, was man nicht sieht: „Ein Raum foller (sic!) Lichter“ oder „Ein Alter der auf das Bild kotzt“ oder „Eine Forelle die von einem Flaschenöffner geköpft wurde“. Es sind Inhaltsangaben eines Kindes zu Kippenberger-Werken, vom Künstler selbst mit der Bestnote versehen.

Ein sehr durchsichtiges Spiel mit dem Museums- und Ausstellungswesen treibt er da, typisch für Kippenberger ist allerdings auch, dass das Ergebnis nicht so billig wirkt wie oft der Grundeinfall. Das Weiß-in-Weiß entfaltet eine eigene Aura, die Leinwandbilder und ihre Beschriftungen wirken wie zarte Spuren aus einer vergangenen Zeit, wie sie etwa beim Renovieren vom Altbauwänden plötzlich zum Vorschein kommen. In jeder hochkarätigen Dauerausstellung für moderne Kunst würde diese Arbeit eine prima Figur machen. Verständlich, dass der Direktor des Hamburger Bahnhofs Udo Kittelmann inständig wünscht, sie dauerhaft im Hamburger Bahnhof halten zu können.

Vorsorglich hat er die weißen Bilder in einen Raum weitab von den Rieckhallen einspachteln lassen, die vor Jahren für die Flick-Collection hergerichtet wurde. Mit ihr kamen etliche Kippenberger-Werke in die Nationalgalerie, nun sind in den großzügigen Hallen etwa dreihundert Plakate, Gemälde, Skulpturen, Künstlerbücher und Filme von Kippenberger nach Themen und Motiven geordnet zu sehen. Ein Minimum an biografischer Information wird den Besuchern mit auf den Weg gegeben, wichtige Hinweise auf Hintergründe indes fehlen völlig. Was haben die Architekturmodelle aus Holzpaletten denn bitte mit dem Müttergenesungswerk zu tun, auf das die Werktitel verweisen? Nur Kippenberger-Fans wissen sofort, dass seine Mutter 1976 von einer herabstürzenden Holzpalette schwer verletzt wurde.

Zu gerne wüsste man, wie denn nun genau die Originalsignatur von Joseph Beuys und dessen Stempel „Wählt die Grünen!“ auf das Ausstellungsplakat „Der Kippenberger“ von 1982 gekommen ist. „Ja, ja, ja, nein, nein, nein“ hallt es durch den Raum, in dem es hängt. Immerhin erfährt man, dass Kippenberger hier eine Performance von Beuys nachspricht. Dessen Postulat „Jeder Mensch ist ein Künstler“ drehte Kippenberger schlau um: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“

Er musste von seinem Künstlersein nicht überzeugt werden, stattdessen inszenierte er sich im subkulturellen Kreuzberg der Jahre 1978 bis 1981 als „einer von Euch, unter Euch, mit Euch!“ Spielte in einer Punkband, kaufte sich in den legendären Club SO 36 ein, trat dort auf, bis ihn eine Gang wegen angeblich zu hoher Getränkepreise krankenhausreif prügelte. „Schlau sein dabei sein“ heißt eines der Künstlerbücher aus dieser Berliner Zeit, ein anderes „Durch Pubertät zum Erfolg“.

149 Titel in 20 Jahren verzeichnet der Katalog der Bücher, die Kippenberger gestaltete, schrieb oder an denen er beteiligt war. Wie die Plakate entfaltet dieses Ouevre seinen Charme nicht allein durch Bildwitz und Sprachwitz („Jetzt geh ich in den Pillenwald / denn meine Pillen wirken bald“), sondern ebenso durch eine stupende Treffsicherheit bei der grafischen und typografischen Gestaltung. Als politisch denkender Künstler dagegen wirkt Kippenberger – zumindest in dieser Ausstellung – eher unterbelichtet. „Ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune“, steht auf einer Ausstellungswand. Ja, er hat immer noch Unterhaltungswert, aber auf die Dauer nervt der Wahn, sich mit den Großen der Avantgarde zu vergleichen. Als der Bauch sich zu wölben beginnt, inszeniert sich Kippenberger in Feinrippunterhose a la Picasso, später dann als ans Kreuz genagelter Frosch. Von einem Hergottsschnitzer ließ er gleich mehrere solcher Kruzifixe herstellen, die er dann in unterschiedlichen Farbstellungen teuer verkaufte.

„Herrenwitze sind so wichtig wie der liebe Gott“: Schwamm drüber über „Kipis“ Frauenbild, es würde keiner Sexismusdebatte standhalten! Mit Reisen, Drogen und Alkohol hielt er die Selbstvermarktungsmaschine in Schwung. Kurz vor seinem Tod ließ er sich mit allen Spuren des körperlichen Verfalls in Posen fotografieren, die Gericaults „Floß der Medusa“ zitieren, eine eindrucksvolle Serie. Ein Foto des Künstlers im Rollstuhl, kurz vor seinem Tod aufgenommen, beschließt den weiträumigen Ausstellungsparcours. Kippenberger posiert mitten in einer von ihm selbst entworfenen Rauminstallation, die ein klassisches Künstleratelier unterm Dach vorgaukelt. Links und rechts lehnen Leinwände, auf denen „Koffein“, „Haschisch“ und „Speed“ steht. Eine Spiderman-Figur kniet neben dem Künstler im Rollstuhl, sie verkörpert die verlorene Beweglichkeit und zugleich den Mythos vom Künstler als wackerem Grenzüberschreiter. Geradezu altersweise ist das inszeniert, wirklich sehr gut.

Bis 18. August 2013, geöffnet täglich außer montags. Infos: www.smb.museum

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 5. März 2013

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