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Donnerstag, 2. Mai 2013

Das Theatertreffen wird Fünfzig

Festspiele-Intendant Thomas Oberender
und Theatertreffen-Leiterin Yvonne
Büdenhölzer stellten das Programm vor.
Dann feiert mal schön! Das Berliner Theatertreffen wird Fünfzig und hat ja allen Grund, stolz zu sein auf seine Leistungen als Kontakthof und Ideenbörse, Debattenforum und Karrierebeschleuniger. 1964 wurde es erstmals  ausgerichtet, um den Austausch zwischen Theaterleuten, Publikum und Kritik über herausragende Inszenierungen einer Saison zu fördern – und diese Funktion erfüllt es bis heute, mit in den letzten Jahren immer größerer Ausstrahlung über den deutschen Sprachraum hinaus.
Umso fragwürdiger die Entscheidung der Veranstalter, den Stückemarkt in diesem Jahr de facto ausfallen zu lassen. Zuletzt wurde viel investiert, dieses Forum für die zeitgenössische Dramatik aufzuwerten und zu einer Plattform für Nachwuchsautoren aus ganz Europa zu machen. Wurden im vergangenen Jahr noch 325 Dramen und Projektideen aus 31 Ländern zur Prüfung angenommen, hatten die hoffnungsvollen Nachwuchsdramatiker diesmal das Nachsehen. Denn es muss gefeiert werden, was das Zeug hält, auch wenn der Stückemarkt erst 35 Jahre alt wird. Also wurden Stückaufträge an 30 noch lebende Preisträger vergeben, die zusammen mit sogenannten „Archiven“ von fünf Autoren in einer dreitägigen Mammutveranstaltung präsentiert werden sollen. Die Unentdeckten dürfen aufs nächste Jahr hoffen.
Überraschungsarm ist auch die Jury-Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen ausgefallen. Bis auf den Choreografen Jérôme Bel sind alle Regisseurinnen und Regisseure in allerjünster Zeit schon mal eingeladen gewesen, die Gegenwartsdramatik ist einmal mehr durch Elfriede Jelinek und Friederike Mayröcker vertreten. Theatertreffen-Debutanten sind Hans Fallada („Jeder stirbt für sich allein“ aus Hamburg) und Leo Tolstoi („Krieg und Frieden“ aus Leipzig) als Spielvorlagenlieferanten, darin spiegelt sich der Trend zur Nacherzählung von Romanen auf deutschen Bühnen.
Allein die Einladung des Theater Hora aus Zürich sprengt den Rahmen des Erwartbaren, zum ersten Mal wurde ein Ensemble von Behinderten derart ausgezeichnet. Wobei vorab einerseits betont wird, dass es sich um professionelle Schauspieler handele, andererseits aber aus diesem Theaterrandgebiet dann doch eine Arbeit ausgewählt wurde, die unter dem Titel „Disabled Theater“ das Behindertsein auf der Bühne extrem stark thematisiert. Begleitend ist eine Expertendiskussion unter dem Titel „Behinderte auf der Bühne – Künstler oder Exponate?“ angesetzt. Eine Fragestellung, unter die seit Jahren kontinuierlich arbeitenden Theatergruppen von Schauspielern mit Handicaps ihre Arbeit vielleicht eher nicht gewürdigt wissen wollen.
Nachdem das ZDF seinen Theaterkanal abgeschafft hat, hält wenigstens der Sender 3sat dem Festival die Treue, ermöglicht mit seinen Aufzeichungen ein kostenloses Public Viewing im Sony Center am Potsdamer Platz und strahlt drei Inszenierungen bundesweit aus: Michael Thalheimers Eröffnungsabend „Medea“ mit Constanze Becker in der Titelrolle (4. Mai), „Orpheus steigt herab“ (11. Mai) und „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (18. Mai). Der Sender hat zudem eine sehr unhaltsame Doku zu 50 Jahren Theatertreffen produziert, mit Originalaufnahmen der Heroen vergangener Jahrzehnte wie Peter Stein, Peter Zadek und Claus Peymann, die gemeinsam auch schon mal eine Jurysitzung gesprengt haben.
Zum Jubiläum gibt es Stadtrundfahrten zu wichtigen Aufführungsorten früherer Theatertreffen und selbstverständlich auch ein dickes Buch mit Statements der Akteure aus 50 Jahren. Der Dramatiker Moritz Rinke nennt das Festival unvergleichlich, denn: „Nirgendwo gibt es so viele Irre.“ Und der Schauspieler Ulrich Matthes fügt bedauernd hinzu: „Früher war mehr Lametta.“

Berliner Festspiele (Hg.): Fünfzig Theatertreffen 1964-2013. Verlag Theater der Zeit, 272 Seiten, Berlin 2013, 25 Euro


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 2. Mai 2013








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