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Dienstag, 29. Oktober 2013

Wien - Berlin. Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Von Elke Linda Buchholz - Sardonisches Lächeln, unheimlich schwarze Augenhöhlen und ein präzise auf Schweinerosa eincollagiertes Ohr: dem eiskalten Machtmenschen auf Friedl Dickers Gemälde 'Das Verhör' von 1934 möchte man nicht in der Opferrolle gegenübersitzen. Die Wiener Malerin war eine der markantesten Protagonistinnen der österreichischen Avantgarde der zwanziger Jahre, hatte am Bauhaus studiert und in Berlin gelebt. 1944 wurde die Kommunistin in Auschwitz ermordet. Jetzt hängt ihr Werk neben den eindringlichen Menschenschilderungen ihrer Berliner Kollegin Lotte Laserstein. Die Jüdin musste 1937 emigrieren. Schon 1927 macht sich auf ihrem Bild 'Im Gasthaus' Wartesaalstimmung breit. Das Frauenbildnis galt seit der Aktion 'Entartete Kunst' als verschollen. Nach über achtzig Jahren im Kunsthandel aufgetaucht, ist es nun erstmals zu sehen.

In der Ausstellung 'Wien-Berlin' lassen sich Entdeckungen machen. Nicht nur wenig bekannte Künstler, sondern auch vergessene Stilrichtungen wie der Wiener Kinetismus, der sein eigenes explosiv­dekoratives Amalgam aus Futurismus, Kubismus und Konstruktivismus strickte, werden vorgestellt. Vor allem aber rückt die Koproduktion der Berlinischen Galerie mit dem Wiener Belvedere erstmals in den Blick, wie eng die Kunstszenen von Wien und Berlin verflochten waren. Für Literatur, Theater und Musik war dies längst bekannt.


Zwar beschworen Zeitgenossen gern die Mentalitätsunterschiede zwischen der gemütlichen, traditionsverliebten k. u.­k. Hauptstadt und der hektischen Industriemetropole Berlin, ja zwischen eleganten Wiener Mehlspeisen und deftigen Berliner Pfannkuchen. Aber beim Gang durch die pointiert gruppierte Ausstellung lässt sich auf den ersten Blick oft kaum sagen, ob ein Berliner oder Wiener Künstler den Pinsel geführt hat.


Es begann mit der Gründung der Sezessionen hüben wie drüben schon vor 1900. Während sich in Wien der elegant-mondäne Jugendstil von Klimt und Wiener Werkstätte durchsetzte, zog in Berlin der Realismus von Max Liebermann und Konsorten den Zorn des Kaisers auf sich. Gerade die nüchterne Wirklichkeitssicht in der Preußenmetropole faszinierte Wiener Künstler. Dafür schwelgten auch die Berliner gern mal im wienerischen Ornamentrhythmus. Die symbolverliebten Seelentänzerinnen des deutschen Fidus finden in einem ätherischen Engelszug des Österreichers Erich Mallina einen perfekten Konterpart. Zu Klimts farbleuchtendem Porträt der mondänen Johanna Staude ist auch die rasante türkis-lila Originalbluse der Porträtierten mitangereist. Solch avantgardistischen Chic wollten auch Berliner Großbürgerinnen tragen.


Schon bald eröffnete die Wiener Werkstätte eigene Ladengeschäfte an der Spree. Die boomende Kunstpresse und schnellere Eisenbahnverbindungen kurbelten den Austausch an. Herwarth Waldens Zeitschrift 'Der Sturm' gab jungen Wilden wie Oskar Kokoschka in Berlin ein Podium, während das Konkurrenzblatt 'Die Aktion' Egon Schieles expressive Zeichnungen aufs Titelbild hievte. Der Wahlberliner Benedikt Fred Dolbin bannt als Pressezeichner seine ebenfalls hierher übergesiedelten Landsleute wie Emil Orlik, Max Reinhardt, Lotte Lenya und Fritz Kortner in genialen Karikaturen. Die Berliner Expressionisten fokussieren die vibrierende Stadt, die Wiener - mit dem bohrenden Blick der Psychoanalyse - das nervöse Selbst.


In der eiskalten Nüchternheit der Neuen Sachlichkeit finden Künstler aus beiden Städten schließlich eine Distanzpose gegenüber der zunehmend unüberschaubaren Gegenwart. Aber nach dem Ersten Weltkrieg gerät Wien, als Hauptstadt eines radikal geschrumpften Reiches, mehr und mehr ins kulturelle Hintertreffen. Der Braindrain nach Berlin ist unaufhaltsam. Überall in den Hauptstädten Europas erschallt das anarchische Lachen Dadas, nur nicht in Wien.


Bis 27. Januar 2014 Mi-Mo 10-18 Uhr, Di geschlossen. Danach vom 14. Januar bis 15. Juni 2014 im Belvedere Wien.



Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 30. November 2013

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