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Dienstag, 4. März 2014

Marmor mit Bürgersinn - Ausstellung zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Schadows

Von Michael Bienert - Von seinem bekanntesten Werk ist nicht mehr viel übrig: Schadows Quadriga auf dem Brandenburger Tor ist eine Rekonstruktion. Zu viel haben die empfindliche Friedensgöttin und ihr Pferdegespann aushalten müssen, seit sie 1793 in luftiger Höhe aufgestellt wurden, um aller Welt zu verkünden: Berlin wird Spree-Athen! Als dreizehn Jahre später Napoleon durch das Brandenburger Tor in Berlin einzog, ließ er die Figurengruppe abmontieren und als Siegestrophäe nach Paris verschiffen. Oben ohne wurde das Tor zum deutschen Nationalsymbol. Als die Friedensgöttin nach den Freiheitskriegen zurückkehrte, drückte ihr der Preußen-Designer Karl Friedrich Schinkel eine Standarte mit dem Eisernen Kreuz in die Hand und machte aus ihr eine preußische Viktoria.

Sie sah siegestrunkene Militärkolonnen und fackelbewehrte Nationalsozialisten zu ihren Füßen paradieren und war am Ende des Zweiten Weltkrieges völlig zerschossen. Das wiederaufgebaute Brandenburger Tor stand seit 1961 im Todesstreifen zwischen Ost und West, in der ersten Silvesternacht nach dem Mauerfall wurde die Quadriga erneut schwer beschädigt. Seit der Sanierung darf die Göttin wieder wehrhaft das Eiserne Kreuz hochhalten, das in den DDR-Jahren fehlte.

Nur ein überlebensgroßer Pferdekopf aus Schadows Zeit ist noch erhalten. Das Prunkstück des Berliner Stadtmuseums liegt nun wie abgestürzt auf blutrotem Fußboden in der Sonderausstellung zum 250. Geburtstag seines Schöpfers. Der Maler Johannes Grützke hat dahinter wandfüllend ein weißes Laken mit einer groben Zeichnung aufgehängt: Schemenhaft erkennt man Soldaten, die Fleisch aus einem Pferdekadaver schneiden. Das Bild zitiert einen kolorierte Druck von 1813, der Truppen Napoleons auf dem Rückzug von Moskau zeigt. Es stammt nicht von Schadow, korrespondiert aber mit dessen eigenen Skizzen der Zeitereignisse. Auch Schadow publizierte antinapoleonische Karikaturen, vorsichtshalber unter fremdem Namen. Und als die ersten Kosaken aus Russland in Berlin auftauchten, war er sofort zur Stelle, um die exotisch gekleideten Befreier mit dem Zeichenstift zu begrüßen.
Vor allem den großartigen Zeichner und neugierigen Menschenbeobachter zeigt die Jubiläumsausstellung. Die berühmten Skulpturen fehlen, sie stehen im Bode-Museum und der Nationalgalerie, einige Repliken seit ein paar Jahren auch wieder auf dem Zietenplatz, nicht weit vom Brandenburger Tor. Besonders der preußische Reitergeneral Zieten verrät viel mehr über Schadows Kunstverständnis als seine allegorische Quadriga: Den Haudrauf hat der Bildhauer in einen nachdenklichen Feldherrn verwandelt, die Hand am Kinn, mit lässig gekreuzten Beinen. Realitätsnah, glaubhaft und dennoch repräsentativ. Diese preußisch abgeklärte Spielart des Klassizismus war Goethe suspekt. Auch in Berlin eckte Schadow damit an: Als er den Auftrag erhielt, die Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen in Marmor zu porträtieren, stattete er die beiden Mädchen mit so viel Zärtlichkeit füreinander und anmutiger Sinnlichkeit aus, dass König Friedrich Wilhelm III. dieses Jugendbildnis seiner Gattin jahrelang vor den Augen des Volkes versteckte.

Schadow hat die Berliner Bildhauerei aus dem Selbstgefühl des aufstrebenden Bürgertums erneuert. Er kam aus einfachen Verhältnissen: Der Sohn eines Schneiders heiratete eine zweifach stigmatisierten Frau aus jüdischer Familie, die schon ein uneheliches Kind hatte. Im aufgeklärten Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde so eine Liebesverbindung respektiert. Mit Talent, Fleiß und eigenen Netzwerken konnten es Bürger weit bringen: Schadow wurde Hofbildhauer, Direktor der Kunstakademie, schließlich die respektierteste Künstlerpersönlichkeit der ganzen Stadt. Die Ausstellung stellt ihn als Freimaurer vor, als stilbildenden Kunstpädagogen, als Mittelpunkt von Künstler- und Freundeskreisen. Mit keinem anderen Künstler hat sich das Berliner Bürgertum im 19. Jahrhundert so identifiziert.

Der Ausstellungstitel „Unser Schadow“ signalisiert, wie sehr ihn noch immer viele lieben. „Auf Knien“ liege er vor ihm, sagt der Maler Johannes Grützke, dessen Beiträge zur Geburtstagsschau  ironisch und liebevoll mit Schadow-Motiven spielen. Er hat den Meister mit roter Nase und frischem Lorbeerkranz gezeichnet, ihm einen Dessertteller bemalt wie schon dessen Künstlerkollegen zu Lebzeiten, sogar als Zieten kostümiert ist Grützke auf einem Großfoto zu sehen. Hinter einer kleinen Replik von Schadows berühmten Prinzessinnenschwestern hängt ein Großgemälde der Neuen Prächtigkeit:  1984 malte Matthias Koeppel die Musikerinnen Annette und Inga Humpe als Prinzessinnen der Neuen Deutschen Welle vor dem Mausoleum im Charlottenburger Schlosspark.

Keines der staatlichen Kulturinstitute, sondern eine Bürgerinitative hat die Geburtstagsausstellung initiierte: die vor 20 Jahren in Berlin gegründete Schadow-Gesellschaft. Sie begleitete und unterstützte auch die sorgfältige Restaurierung von Schadows Wohn- und Atelierhaus von 1805 unweit des Brandenburger Tores. Es handelt sich um eines der seltenen erhaltenen Berliner Bürgerhäuser dieser Zeit, es liegt im touristischen Zentrum der Hauptstadt, und es wäre prädestiniert für eine öffentliche Nutzung. Doch das Haus in Reichstagsnähe gehört zu den Liegenschaften des Bundestages. Die Kunstkommission des Parlaments und ehemalige Bundestagspräsidenten haben im restaurierten Schadowhaus Büros bezogen. Frustriert sprechen Mitglieder der Schadow-Gesellschaft von einem  „Hochsicherheitstrakt“, aus dem die Öffentlichkeit ferngehalten werde. Mit der Schadow-Schau erhöhen die Bürger den Druck auf die Bundestagsverwaltung, ihren Umgang mit diesem Juwel zu überdenken.

„Unser Schadow“ im Ephraim-Palais, Poststraße 16, 10178 Berlin, bis 29. Juni 2014. Infos: www.stadtmuseum.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. März 2014

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