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Donnerstag, 24. September 2015

Bankencity mit Kultur - Florenz zu Zeiten Botticellis

Von Elke Linda Buchholz. Florenz, September 1490. Die sommerliche Hitze ist vorbei. Nach und nach kehren die Reichen und Mächtigen von ihren Landgütern in die Stadt am Arno zurück. Die "Blühende", wie sie seit alters her genannt wird, belebt sich. Schon wurde die schöne junge Ludovica Tornabuoni mit ihren Anstandsdamen beim Gottesdienst gesichtet. Auch Lorenzo il Magnifico, Chef des Hauses Medici und Geschäftsführer des Familienunternehmens, ist von seiner Lieblingsvilla Careggi in den Stadtpalast der Medici an der Via Larga zurückgekehrt. Tag für Tag kann man jetzt Handelsdelegationen von weither durch die Stadttore ziehen sehen. Unglaublich, was für ein Geschiebe und Gedränge in den engen Gassen herrscht: da sieht man Mönche im Habit, Bauern mit vollbeladenen Eselskarren, Pilger auf ihrem Weg nach Rom, Tagelöhner, Prostituierte, Handwerker, Beutelschneider. Aus den offenen Ladenwerkstätten hört man Hämmern und Sägen. An einer Straßenecke feilscht ein Verkäufer mit Kunden, daneben zahlt ein Bankier in klimpernder Münze einen Kleinkredit aus. Die großen, internationalen Geldgeschäfte mit dem Goldflorin werden hinter den hohen Mauern der noblen Palazzi gemacht... Hier weiterlesen. Erschienen in einer tollen mehrseitigen Beilage des TAGESSPIEGELs aus Anlass der großen Botticelli-Ausstellung in der Gemäldegalerie. Mehr Infos zur Ausstellung

Dienstag, 22. September 2015

100x Arno Schmidt in der Akademie der Künste

Einer der Zettelkästen Arno Schmidts für sein
Werk Zettels Traum. Foto: Bienert
Literatur wird aus Wörtern gemacht: nicht regelkonform, sondern spielerisch & schöpferisch. Arno Schmidt war ein besessener Sprachspieler, einer der größten der deutschen Literatur. Im Zentrum der ihm gewidmeten Ausstellung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg steht ein Bildschirm, auf dem man 100 Wörter aus seinem Werk antippen kann: von „Alkohol“ über „ficken“ bis „Zustand“. Sechs kurze Werkzitate mit dem gewählten Wort leuchten dann nacheinander an der Decke des Raumes auf, und beim raschen Mitlesen wird sofort klar: Diese Sprache lebt!
Arno Schmidt
Foto: Alice Schmidt/
Arno Schmidt Stiftung
Mit Friedrich Forssman hat einer der fähigsten Schrift- und Buchgestalter das elegante Ausstellungsdesign entworfen. In einem abgedunkelten Raum kann man zwischen 100 Schlaglichtern auf Leben und Werk frei flanieren. In schicken Leuchtvitrinen sind Objekte aus dem Nachlass Arno Schmidts zu sehen – seine grüne Lederjacke, Einmachgläser und phallische Stehlampen aus dem Haus in Bargfeld, eine Goldkette seiner Frau, Manuskripte, Bücher, Zettelkästen und Schreibmaschinen. Die Objekte stehen für Themen, die nach Gegensatzpaaren geordnet sind: wie Buchhalter/Junggeselle, Goethe/Wieland, Potenz/Impotenz, Übersetzer/Übersetzter, Gesund/Krank et cetera. So wird ein Foto, das den jungen Dichter in Bodybuilderpose zeigt, mit der umfangreichen Medikamentensammlung vom Schreibtisch des späten Arno Schmidt konfrontiert: Das Schreiben als Beruf forderte seinen Tribut. Zitate, die den Objekten zugeordnet sind, demonstrieren die Welthaltigkeit der Sprachspiele Arno Schmidts. 1953 forderte er: „Jeder Schriftsteller sollte die Nessel Wirklichkeit fest anfassen und uns Alles zeigen: die schwarze schmierige Wurzel; den giftgrünen Natternstengel; die prahlende Blume(nbüchse).” In den Wirtschaftwunderjahren wurde wegen Pornografie und Gotteslästerung gegen Schmidt ermittelt, die konservative Literaturkritik bekämpfte ihn als grässlichen Sprachverschluderer. Die Ausstellung in der Akademie der Künste zeigt ihn als manischen Arbeiter, als werkbesessenen Einzelgänger, als humorvollen Sprachschöpfer, in dessen Sprachuniversum einzutauchen ein reines Vergnügen ist, selbst wenn man (noch) nicht zur eingeschworenen Fangemeinde gehört.

Arno Schmidt
Eine Ausstellung in 100 Stationen
Akademie der Künste am Hanseatenweg
bis 10. Januar 2016
Weitere Informationen

Montag, 14. September 2015

Fregestraße 19: Ein Buch über die Berliner Villa des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger

Fregestraße 19 in Friedenau. Foto: Bienert
Das wusste selbst der historisch so bewanderte Hans Magnus Enzensberger nicht: In der Villa in Friedenau, die ihm von 1964 bis 1978 gehörte, in der die "Kommune 1" kurzzeitig hauste und sich Linksintellellektuelle wie Gaston Salvatore, Rudi Dutschke, Peter Schneider und Hans Werner Henze die Klinke in die Hand gaben, in eben jenem Haus in der Fregestraße 19 hat der Obernazi Hermann Göring vor dem Ersten Weltkrieg einen Teil seiner Jugend verbracht. Pikanterweise gehörte das Haus seinerzeit einem jüdischen Rittergutsbesitzer, mit dem die Mutter des späteren Reichsmarschalls und Reichjägermeisters ein intensives Verhältnis hatte, und zwar mit Wissen und Billigung ihres Mannes. Hermann Görings jüngster Bruder Albert, der die NS-Ideologie ablehnte, war wohl eine Frucht jener offenen deutsch-jüdischen Dreierbeziehung. Alleine dieser Einblick ins Liebesleben seiner Bewohnerschaft lohnt die Lektüre des liebevoll ausgestatteten Buches über das kleine Haus in der Fregestraße, das damit zu einer Hauptsehenswürdigkeit im - an Prominentenadressen ohnehin reichen - Friedenau aufsteigt. "Eine beliebige Adresse kann also den Blick auf ein ganzes Bündel von merkwürdigen Geschichten freigeben, wenn ein geduldiger Amateur allerhand unbedeutende Zeugen befragt und vergilbte Baupläne, Ahnentafeln, Archivkästen und alte Photos hervorkramt. Vielleicht stellt die Mikrohistorie, in der die Kontingenz regiert, manchmal sogar die großen Erzählungen in den Schatten", schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem Vorwort zur Geschichte seines Berliner Hauses. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Christian H. Freitag
Ritter, Reichsmarschall & Revoluzzer
Aus der Geschichte eines Berliner Landhauses
88 Seiten, gebunden
Edition Friedenauer Brücke
ISBN 978-3-9816130-2-5
24 Euro

Montag, 7. September 2015

Taschendiebe am U-Bahnhof Möckernbrücke - Friedrich Kröhnkes "Diebsgeschichte"

"Alternativ und radikal gewesene Wilmersdorfer Witwen" nennt Friedrich Kröhnke das Personal, das seine Diebsgeschichte bevölkert. Der frühpensionierte Bibliothekar Frieling beobachtet am U-Bahnhof Möckernbrücke eine Bande von Taschendieben und mobilisiert seine Bekannten aus dem Café Kleist. Der angejahrten westberliner Bohéme gelingt es tatsächlich, die Bande in eine Falle zu locken und der Polizei zu übergeben - womit die Geschichte jedoch noch nicht zu Ende ist. Leichtfüßig und ironisch erzählt Kröhnke, wie der Bibliothekar aus der Rolle der flanierenden Beobachters fällt und zum abenteuerlustigen Verbrecherjäger wird. "Die Düsternis nimmt in meinen Büchern komische Formen an", sagte der Autor vergangene Woche bei einer Buchvorstellung im Brechthaus und versicherte: "Alles, was in der Diebsgeschichte erzählt wird, habe ich in Berlin tatsächlich beobachtet und erlebt - nur nicht am U-Bahnhof Möckernbrücke."

Friedrich Kröhnke
Diebsgeschichte
Müry Salzmann Verlag, Wien 2015
136 S., 19,-- Euro

Donnerstag, 3. September 2015

Bikini im Buch

Dies ist ein typisches Investorenbuch nach dem Motto: Tue Gutes und publiziere darüber! Ein in jeder Hinsicht opulenter Prachtband für ein Projekt, das es allerdings verdient hat, gefeiert zu werden. Die Bayerische Hausbau hat das Bikini-Haus am Zoo so vorbildlich zu einer Einkaufspassage mit gehobenem Niveau umbauen lassen und dabei so viel von der Eleganz der 50er-Jahre-Architektur wieder zum Vorschein gebracht hat, dass es wenig zu kritteln gibt. Umso mehr, als das Ensemble am südlichen Zoorand, zu dem auch der inzwischen denkmalgerecht aufpolierte Zoo-Palast und die Hochhausscheibe am Hardenbergplatz gehören, lange Zeit als Problemfall und Abrisskandidat galt. Ein klug sanierter und revitalisierter 50er-Jahre-Bau ist aber allemal so schick wie das meiste, was an heutiger Kommerzarchitektur in den Cities der großen Städten abgestellt wird. Dies ist die frohe Botschaft, die vom Bikini Berlin ausgeht. Das Buch bettet sie weit ausgreifend in die Historie des Standortes ein: Seit der Kaiserzeit entstand um die als Nationaldenkmal konzipierte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein städtisches Zentrum mit legendären Orten wie dem Romanischen Café, den Ausstellungshallen am Zoo (Sechstagerennen!), später Ufa-Palast am Zoo, mit Hans Poelzigs "Capitol"-Kino und dem Gloria-Palast. Das Ensemble war ein Wahrzeichen des modernen Berlin und als solches wurde es für West-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg mit zeitgenössischer Architektur wieder aufgebaut. Anhand des Buches lässt sich nun im Detail nachvollziehen, wie die Geschichte in die Überlegungen für eine zukunftsfähige Nutzung des Bikini-Hauses und der Nachbargebäude einfloss, welche Interessen der Investor und die Denkmalpflege verfolgten und wie es zu tragfähigen Lösungen kam.

Peter Lemburg
Bikini Berlin und seine Story
Imhof Verlag
168 Seiten, 29,95 Euro
ISBN 978-3-7319-0031-3 29,95

Mehr Infos: http://www.imhof-verlag.de/bikini-berlin-und-seine-story.html