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Mittwoch, 14. Oktober 2015

Im Theater (59): Hoffmann in die Kiste! - Barrie Kosky inszeniert "Les Contes d´Hoffmann" an der Komischen Oper

Foto: Monika Rittershaus / Komische Oper Berlin
Von Michael Bienert - Leere Flaschen, wohin das Auge schaut. Mittendrin ein schwerfälliger älterer Herr, der vor sich hinmurmelt, reichlich Promille im Blut hat und nur noch in seinen Erinnerungen und Phantasien lebt. Das ist E. T. A. Hoffmann in Barrie Koskys Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen an der Komischen Oper. Kein spritziger Erzähler, dem die Wirtshausgäste in Lutters Keller an der Französischen, Ecke Charlottenstraße an den Lippen hängen, wie in Jacques Offenbachs Opernvorlage. Kosky hat von dieser Rahmenhandlung wenig übrig gelassen. Ja, er hat eine neue konstruiert aus Texten Hoffmanns, wobei der Erzählung Don Juan eine Schlüsselrolle zufällt. Darin tritt die Donna Anna aus Mozarts Oper Don Giovanni unerwartet ins Leben eines Musikliebhabers. Sie ist die Sehnsuchtsfigur Stella, der Hoffmann in Koskys Inszenierung nachjagt, wenn er sich – als jugendlicher Doppelgänger des abgewrackten Dichters – nacheinander in die mechanische Puppe Olympia, die kränkliche Sängerin Antonia und die mit dem Teufel verbündete Hure Giulietta verliebt.
Foto: Monika Rittershaus/
Komische Oper Berlin
Don Giovanni bildet auch musikalisch den Rahmen, mit ein paar Takten aus der Mozarts Ouvertüre meldet sich das von Stefan Blunier geleitete Orchester überraschend aus dem Graben, nachdem Hoffmann zunächst als Sprecher (Uwe Schönbeck) brillieren durfte. Die Sänger Dominik Köninger und Edgaras Montvidas sind die feurigen jungen Hoffmanns, die meist gemeinsam mit dem alten auf der Bühne steht – als Verkörperung seiner inneren Bilder, was recht reibungslos funktioniert. Karolina Gumos als seine Muse tritt im Mozart-Kostüm auf, Dimitri Ivashchenko als teuflischer Lebemann unter den Masken der Hoffmann-Figuren Lindorf, Coppelius und Dapertutto. Star des Abends ist Nicole Chevalier, die ihre vier Hoffmann-Geliebten Stella, Olympia, Antonia, Giulietta nicht nur toll singt, sondern jeder eine ganz eigene Körperlichkeit und Sinnlichkeit verleiht. Der beste Regieeinfall des Abends ist ein Schubladenschrank, in dem die Sängerin als Automatenmensch Olympia steckt; nur durch ihre Mimik und ihr Kopfwackeln zeichnet sie eine Figur von hinreißender Komik, während sie singt.
Weniger herzerfrischend wirken der Männerchor in fleischfarbenen Frauenkleidern oder der Frauenchor in Gestalt weißhaariger Mütter, die mit Geigenbögen an Antonia herumstochern. Dass Hoffmann am Ende in einen schwarzen Sarg steigen muss, der zugenagelt wird, ist kein furchtbar originelles Schlussbild (wenn auch wie alles sehr stylisch in der Ausstattung von Katrin Lea Tag). Dem Unterhaltungswert der Inszenierung tut das keinen Abbruch, sie führt zwar nicht in Hoffmansche Abgründe, geht niemals richtig auf oder an die Nerven, ist aber kurzweilig und musikalisch ansprechend. Nicht zu unterschätzen auch, dass sie kompatibel ist mit dem Berliner Zentralabitur in diesem Schuljahr: Für alle Grund- und Leistungskurse ist die Hoffmann-Lektüre obligatorisch und diese Inszenierung durchaus geeignet, in den Unterricht einbezogen zu werden. Zum Spielplan der Komischen Oper

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