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Mittwoch, 16. März 2016

Familiendrama mit Sprengstoffgürtel: Larry Tremblays Roman "Der Name meines Bruders"

Ein neunjähriger Junge sprengt sich zwischen Kindern in einem Flüchtlingslager in die Luft. Wie es dazu kommt und wie sein Zwillingsbruder damit weiterlebt, davon erzählt der kanadische Autor Larry Tremblay in 2013 erschienenen, bereits preisgekrönten Buch L´Orangeaie. Von Angela Sanmann sehr gut übersetzt, vom Verlag mit dem Gattungsnamen "Roman" etikettiert und mit dem griffigeren Titel Der Name meines Bruders (statt: Der Orangenhain) versehen, liegt es jetzt auf Deutsch vor. Die Sprache ist von karger Schönheit wie das Leben auf einer Orangenplantage an eine namenlosen Ort des Nahen Ostens, wie die Zwillingsbrüder Amed und Aziz aufwachsen. Eines Tages finden sie "ihre Großeltern in den Trümmern des Hauses. Ein Balken hatte der Großmutter den Schädel zerschmettert. Ihr Großvater lag in seinem Bett, in Stücke gerissen von der Bombe, die über die Gebirgshänge gekommen war."

Kämpfer aus dem Bekanntenkreis der Eltern von Amed und Aziz wählen eines der Kinder für den Märtyrertod als Selbstmordattentäter aus. Aziz leidet unter einer tödlichen Krankheit, heimlich tauscht er den Sprengstoffgürtel mit seinem gesunden Zwillingsbruder, der eigentlich als Opfer ausersehen ist. Als nach dem Attentat der Schwindel auffliegt, weil er das Gespinst von Lügen um sich herum nicht länger erträgt, wird der überlebende Junge aus der Familie ausgestoßen und  zu einer Tante in Kanada geschickt. Das letzte Drittel des Buches erzählt von seinem weiteren Schicksal als Schauspielschüler: Er verweigert sich, als er eine brutale Kriegsszene spielen soll und stürzt damit auch den Autor und Regisseur des Stücks in schwere Zweifel.

Der Autor Larry Tremblay ist vor allem als Dramatiker bekannt und sein kurzer Roman - so er denn diese Gattungsbezeichnung verdient hat - trägt mehr dramatische als epische Züge. Er verzichtet nahezu vollständig auf Ausschmückung und Ausmalung, umso pointierter sind die Dialogpassagen. Geschilderte Situationen und Abläufe erinnern des öfteren an filmische Erzählweisen. Diese Kunstgriffe lassen der Imagination des Lesers sehr viel Raum, ähnlich wie beim Lesen eines Stücks oder eines Drehbuchs. Dem Leser bleibt reichlich Distanz, um das erzählte Grauen näher oder weniger nah an sich heranzulassen, je nachdem, wieviel er sich zumuten will. Das Buch gibt keine allgemeine Antwort darauf, wo der aktuelle Terror seinen Ursprung hat, es macht aber anhand einer gut erfundenen Geschichte durchsichtig, wie Familien dazu gebracht werden können, ihre Kinder im Krieg zu opfern. Und warum Menschen alles hinter sich lassen und unendliche Strapazen auf sich nehmen, nur um dem Alltag des Krieges zu entgehen.

Larry Tremblay
Der Name meines Bruders 
Aus dem Französischen von Angela Sanmann
Verlag C. H. Beck, München 2015
ISBN 978-3-406-68341-1
176Seiten, 17,95 €

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