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Sonntag, 30. Oktober 2016

Berliner Porzellanplastik im Kunstgewerbemuseum - Ausstellung und Katalog

Von Elke Linda Buchholz - Dem Bildhauer ist der Meißel zu Boden geglitten. Mit glasigen Augen schaut er auf die Opiumschale in seiner Hand. Die gertenschlanke nackte Frau neben ihm könnte das Aktmodell des benebelten Künstlers sein. Neckisch verbirgt sie ihr Gesicht hinter einer Theatermaske, während sie leichtfüßig auf einer goldenen Kugel balanciert, als sei sie die Glücksgöttin Fortuna persönlich. Tatsächlich tritt sie hier als Allegorie der Bildhauerkunst auf. Dezent hält sie einen prallen Geldbeutel in der Hand: Lässt sich mit der Bildhauerkunst womöglich doch Geld verdienen? Das Vorbild der Antike allerdings tritt sie in Gestalt eines muskulösen Männertorso leichthin mit Füßen. Verlockender als dessen sprödes Marmorweiß schimmert das zarte Rosa ihrer Brüste. Porzellanhaut, buchstäblich! Die ganze Figurengruppe ist nur 30 Zentimeter hoch und ein Meisterstück der Berliner Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts. Mit Bravour und scharfer Ironie hat der Bildhauer Wilhelm Christian Meyer hier seine eigene Profession persifliert und deren hehre Ideale mit der Wirklichkeit abgleicht. Die Porzellanskulptur gehört zu einer ganzen Serie ironischer Allegorien der Freien Künste, eine witziger als die andere. Jede der zierlichen Figurengruppen schraubt sich als perfekte Komposition aus Gesten und Posen in den Raum und ist gespickt mit witzigen Details. Dies alles zu entschlüsseln, braucht es Scharfblick und Geduld. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat sich die Kunsthistorikerin Dorothee Heim über die fragilen Porzellanfiguren aus dem Bestand des Kunstgewerbemuseums gebeugt. Das Ergebnis liegt jetzt als dickleibiger Bestandskatalog zur Berliner Porzellanplastik zwischen 1751 und 1825 vor.

Freitag, 21. Oktober 2016

+ultra - eine Ausstellung als "Trainingslager für das Humboldt-Forum"

Von Michael Bienert - "Das ist unser Trainingslager für das Humboldt-Forum", sagt Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten der Kulturinstitution, die das wiederaufgebaute Berliner Schloss bald mit Leben erfüllen soll. Im Martin-Gropius-Bau ist Bredekamp nun mitverantwortlich für die interdisziplinäre Wissenschaftsausstellung +ultra. gestaltung schafft wissen, einer Wunderkammer, die 300.000 Jahre alte Faustkeile mit dem Operationsbesteck von Neurochirurgen, Aufzeichnungen von Charles Darwin und Karl Marx, 3-D-Animationen eines Hundeskeletts in Bewegung mit Videoarbeiten zeitgenössischer Künstler zusammenbringt. Hervorgegangen ist die Ausstellung aus dem Exzellenzcluster "Labor Bild Wissen Gestaltung" der Humboldt-Universität, an dem Wissenschaftler aus 40 Disziplinen mitarbeiten.
Radikal grenzüberschreitendes Denken und Forschen liegt dieser Präsentation zugrunde, und es kann einem schon ein bisschen schwindlig werden, wenn Horst Bredekamp erklärt, es gehe letztlich darum, "den aristotelischen Materiebegriff" zu verändern: "Wir gehen von der Aktivität aus!" Tatsächlich ist dieser Denkansatz aber gar nicht so neu, vor 200 Jahren - zu Zeiten der Humboldts - arbeiteten viele Forscher bereits an der Überwindung eines mechanistischen Weltbildes. Sie versuchten wie Hegel die Materie aus der Bewegung des Geistes zu erklären oder gingen wie Goethe von einer beseelten Natur aus: "Kein Menschen will begreifen, dass die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sei."
Dieses Goethe-Zitat steht als Leitspruch über der ganzen Ausstellung. "Gestaltung" ist der Begriff, der Natur- und Kulturwissenschaften zusammenführen soll, und so werden in der Ausstellung sehr unterschiedliche Natur- und Kulturphänomene von verschiedenen Perspektiven her belichtet: Der Werkzeuggebrauch, der auch in der Tierwelt zu beobachten ist, organisches Denken in der Architektur oder auf Naturbeobachtungen fußende technische Konstruktionen.
In den letzten drei Ausstellungskapiteln geht es um Themen, die durch die Digitalisierung des Alltags besondere Brisanz gewonnen haben: Die Erfassung von Körperdaten, die Wissenschaftler und Künstler schon immer interessiert hat, jetzt aber zu einem Volkssport und Riesengeschäft geworden ist. Die Künstlerin Jennifer Lyn Morton hat auf diese Kommerzialisierung mit der Gründung einer Firma reagiert, die Daten ihrer Aktivitäten vermarktet. Digitale Gesichtserkennung ist ein weiteres Thema, mit dem wir aktuell als Nutzer von Internetplattformen und videoüberwachten Plätzen konfrontiert sind, das aber ähnlich schon die Physiognomen des 18. Jahrhunderts umgetrieben hat. Zuletzt wirft die Ausstellung einen kritischen Blick auf bildgeleitete Handlungen. Bei medizinischen und militärischen Operationen werden Bilder, auf denen Entscheidungen basieren, immer wichtiger, während ein direkter Kontakt mit dem Ziel des Ein- oder Angriffs vermieden wird.
Der Zusammenhang der präsentierten Objekte und Themen erschließt sich nicht immer gleich auf den  ersten Blick. Die Aktivität der Ausstellungsbesucher ist gefordert, sie werden Teil der Laborsituation, mit der die Kuratoren Nikola Doll, Horst Bredekamp und Wolfgang Schäffner austesten wollen, mit welchen Mitteln eine Wissenschaftsausstellung heute ihr Publikum am besten erreicht. Der größte Ausstellungsraum ist als "active space" konzipiert, in dem fast täglich Begleitveranstaltungen stattfinden, alles bei freiem Eintritt.
"Die Ausstellung im Humboldt-Forum wird aber ganz anders aussehen", versichert Kuratorin Nikola Doll. Auf ähnlich großer Ausstellungsfläche seien dort jährlich drei wechselnde, kleinere Ausstellungen  geplant. Im Martin-Gropius-Bau erkennt man die Richtung, in der es im Humboldt-Forum gehen soll: Vorgeführt wird heutige Wissenschaft als eine Aktivität, die schöpferisch gestaltet, Grenzen überschreitet, Geschichte und Gegenwart zusammenbringt. Darin schwingt ein utopisches Moment mit, das im Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb oft unter die Räder kommt. Genau diese Freiheit des Denkens, Experimentierens und Gestaltens ist es jedoch, die den Begriff "Humboldt-Forum" mit Leben füllen könnte.

Bis 8. Januar 2017 im Martin-Gropius-Bau, Eintritt frei.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Go Osaka in Berlin

Michael Bienert und Go Osaka bei
Lutter & Wegner. Foto: Tomo Miichi
Der vielfach preisgekrönte japanische Krimi- und Bestsellerautor Go Osaka schreibt an einem Roman über den romantischen Dichter und Richter E. T. A. Hoffmann. Auf einer Recherchetour durch Berlin hat Michael Bienert den japanischen Autor begleitet: zunächst ins Jüdische Museum, in dessen Altbau Hoffmann als Richter gearbeitet hat, in den von Daniel Libeskind entworfenen E. T. A. Hoffmann-Garten (heute Garten des Exils), dann auf die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor zu den Gräbern Hoffmanns, Adelbert von Chamissos und der Familie Mendelssohn. Weiter gings zum Gendarmenmarkt, viele Jahre Wohnsitz und Lebensmittelpunkt des Dichters, zum versteckten Hoffmann-Denkmal und in die Weinstube Lutter & Wegner. Über die Berlintour wird bald mehr in der japanischen Literaturzeitschrift "Shosetsu Shincho" zu lesen sein, denn Osaka wurde von einem Redakteur und einem Fotografen begleitet, außerdem von einer Übersetzerin und seiner Frau. Der weitgereisten Runde spendierte das Weinlokal eine Runde "Lutter & Wegner"-Sekt und die Japaner lernten den traditionellen Trinkspruch: "In Hoffmanno!"
Michael Bienerts Buch E. T. A. Hoffmanns Berlin hatte Go Osaka bereits in Japan via Internet bestellt, nun ließ er es sich signieren (Foto). Sein Urteil: "Sollte sofort ins Englische übersetzt werden, damit es weltweit gelesen wird!"

Michael Bienert
E. T. A. Hoffmanns Berlin
Literarische Schauplätze
176 Seiten, 193 Abbildungen
vbb- Verlag für Berlin und Brandenburg,
Berlin 2015, 24,99 €

Mehr Infos zum Buch und Stadtführungen

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Gropius to Go

Mit ein paar Tagen Verspätung ist sie nun einsatzbereit: Die App des Landesdenkmalamtes, mit denen man Berlin auf den Spuren des Bauhausgründers Walter Gropius erkunden kann. Gropius hat Villen, Wohnzeilen, Kupferhäuser, ein Grabmal auf dem Jüdischen Friedhof und das Bauhaus-Archiv entworfen, die Gropiusstadt trägt seinen Namen, darüber hinaus hinterließ Gropius eine Vielzahl unrealisierter Berliner Projekte wie ein "Totaltheater" für den Regisseur Erwin Piscator. Zu all diesen Themen bietet die App kompakte Informationen, Karten und Empfehlungen für Spaziergänge.

Im Auftrag der Gewobag hat Michael Bienert dem Landesdenkmalamt mit einer Recherche zum Anteil von Gropius an der Reichsforschungssiedlung Haselhorst zugearbeitet. Auf dieser Grundlage ist jetzt auch der Eintrag in die Denkmaldatenbank überarbeitet und mit aktuellen Fotos vom Zustand der denkmalgerecht sanierten Siedlung versehen worden.

Weitere Infos über Führungen durch die Reichsforschungssiedlung und das Buch von Michael Bienert über Haselhorst

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Im Käfig der Freiheit - Neuerwerbungen im Kunstmuseum Wolfsburg

Von Elke Linda Buchholz - Einfach nervtötend, dieser Alarmton. Kaum betritt man den Ausstellungsraum, schrillt er los. Die Besucher müssen sich den Bondage-Aktfotos von Nobyoshi Araki bis auf Tuchfühlung nähern, erst dann verstummt das ohrenbetäubende Piepen. Jeppe Heins Soundinstallation verkehrt das übliche Museumsalarmsystem, das die Besucher auf Abstand hält, ins Gegenteil. Aber will man den kunstreich zum Paket verschnürten weiblichen Aktmodellen Arakis wirklich so nahe treten? Jeder muss hier selbst ausloten, wo die Schmerzgrenze des Erträglichen erreicht ist, nicht nur akustisch. Der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, Ralf Beil, hat die beiden künstlerischen Arbeiten kurzerhand nach eigenem Gutdünken kombiniert und so einen sehr speziellen Erfahrungsraum geschaffen. Auch die regulierten Bedingungen, unter denen man Kunst im Museum sieht, legt er damit offen. „Im Käfig der Freiheit“ nennt Beil seinen thematischen Streifzug durch die eigenen Bestände. Weiterlesen im Tagesspiegel

Dienstag, 11. Oktober 2016

Kollwitzmuseum eröffnet Lesesaal und Depot

Für Museumsleiterin Iris Berndt (Foto rechts) und den von Eberhard Diepgen geleiteten Förderverein war es ein freudiges Ereignis: Heute wurde im Käthe-Kollwitz-Museum der neue Lesesaal mit modernen Magazinschränken für die empfindlichen Arbeiten auf Papier offiziell eingeweiht. Damit ist sichergestellt, dass die Blätter von Käthe Kollwitz künftig nach heutigen konservatorischen Standards aufbewahrt werden, zugleich wurde die Zugänglichkeit für Besucher des Museums verbessert.
Nur 20 Prozent des Sammlungsbestandes können in der Ausstellung des Hauses gezeigt werden, weitere Arbeiten können Interessenten und Forscher sich nun nach Voranmeldung vorlegen lassen. Fachlich beraten wurde das Privatmuseum vom Berliner Kupferstichkabinett, finanziert hat das Vorhaben von der Herrmann Reemtsma Stiftung, nachdem der heutige Eigentümer des Gebäudes eine Garantie abgegeben hatte, dass das Kollwitz-Museum das Haus in der Fasanenstraße mindestens 20 Jahre lang weiter nutzen kann.
Zur Website des Museums

Fotos des neuen Magazin- und Lesesaals: Michael Bienert

Sonntag, 9. Oktober 2016

Kunst statt Knast - eine deutsch-chinesische Künstlerbegegnung im ehemaligen Frauengefängnis Lichterfelde

Das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde
Von Elke Linda Buchholz - An den grauen Zellentüren sitzen massive Schlösser. Lichtschalter gibt es nur außen, auf dem Gang. Aber die Türen stehen offen. Das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde probt seit dem Frühsommer die Metamorphose zum Kulturort. „Atelier 5“ steht in chinesischen Schriftzeichen an einer Zellentür. Seit Mitte August arbeiten hier acht chinesische und acht deutsche Künstlerinnen und Künstler. Weiterlesen im Tagesspiegel