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Donnerstag, 29. Dezember 2016

Wird Alexander von Humboldt überschätzt?

Matthias Glaubrecht ist Gründungsdirektor des
Centrums für Naturkunde der
Universität Hamburg. Foto: Bienert
Im Tagesspiegel setzt sich Matthias Glaubrecht kritisch mit Andrea Wulfs Buch "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" auseinander und kommt zu dem Schluss: "Statt einer Heroisierung Humboldts wird es Zeit, die geläufigen Erzählmuster seiner Biografie aufzubrechen und zu erkennen, dass der kosmische Ansatz von Humboldts Naturverständnis nicht zukunftsfähig war und sein Weltbild längst veraltet ist." Insbesondere verweist Glaubrecht auf Darwin, dessen Evolutionstheorie den Glauben an eine harmonische All-Einheit der Natur überwunden habe. Seine profunde Argumentation kann man hier nachlesen.

Samstag, 24. Dezember 2016

Wie die Futura den Mond eroberte

Von Michael Bienert - Zweckmäßig. Elegant. So wollten Architekten und Designern die Welt nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges umgestalten. Schlichte geometrische Formen galten plötzlich als todschick, auch in der Buchkunst. Serifenlose Schriften, bis dahin fast nur für Reklame und Beschilderungen verwendet, wurden zu einem Erkennungsmerkmal moderner Typografie. Doch die erfolgreichste Schrifttype der neuen Zeit entstand nicht am Bauhaus, sondern wurde von dem erfahrenen Typografen Paul Renner in Zusammenarbeit mit der Bauerschen Schriftgießerei in Frankfurt am Main entworfen. Futura, die Zukünftige, kam 1927 nach dreijähriger Entwicklungszeit auf den deutschen Markt. Renner löste das Problem, die eigentlich aus der Schreibschrift stammenden Kleinbuchstaben aus den geometrischen Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat zu konstruieren und harmonisch mit den Großbuchstaben der klassischen Antiqua zu verbinden. Durch feine Abweichungen von der starren Geometrie schuf er ein Schriftbild, das so ausgewogen und lesefreundlich wirkte wie traditionelle Druckschriften. Ein wunderschön in allen Futura-Varianten gesetztes Buch und eine Ausstellung (noch bis 30. März 2017 im Gutenberg-Museum Mainz) zeichnen den weltweiten Siegeszug der Schrift nach. Kurt Schwitters etwa benutzte sie Futura für ein neues Corporate Design der Stadt Hannover, von Bauhausmeistern wie Laszlo Moholy-Nogy wurde die Futura kopiert, in Frankreich unter dem Namen „Europe“ vertrieben, in den USA machten das Magazin „Vanity Fair“ und Werbegrafiker sie ab 1929 populär. Da Paul Renner 1932 in der Schweiz eine Streitschrift gegen die Kulturpolitik der Nazis hatte drucken lassen, vertrieben sie ihn vom Direktorenposten der Münchner Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker. Doch die Futura wurde weiter benutzt, etwa vom „Verlag nationalsozialistischer Bilder“ des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann. Fans hatte sie auch bei der US-Weltraumagentur NASA: Für die Beschriftung der Gedenkplakette, die 1969 die ersten Mondbesucher am Landungsort hinterließen, kam einzig die Futura in Frage.

Petra Eisele, Annette Ludwig, Isabel Nagele (Hg.)
Futura. Die Schrift
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2016
520 Seiten, 50 Euro

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Pumpernickel und andere Merkwürdigkeiten aus der Provinz. Ein Buch über westfälische Erinnerungsorte

Typisch Westfalen:
Windmühle in Holzhausen
Foto: Bienert
Von Elke Linda Buchholz - 350 km liegt die Porta Westfalica von Berlin entfernt. Aber in Gedanken ist man auch als Hauptstadtbewohner in Nullkommanix da. Erinnerungen tragen weit und fern: Auch sie sind Markierungen, Einschreibungen, Orte, an die man zurückkehren kann. Sofern sie nicht im Nebel der Vergangenheit verblassen und verschwinden. Um sie anzupeilen, hilft Information.

Punktuelle Tiefenbohrungen ins unwägbare Reich des Westfälischen unternehmen die über 40 Autoren des jetzt erschienenen Bandes "Westfälische Erinnerungsorte", herausgegeben von Lena Krull. HistorikerInnen und StudentenInnen haben sich mehr als drei dutzend Aspekte herausgepickt aus dem weitläufigen Terrain. Zwei Seminare der Uni Münster schoben das Projekt an. Tatsächlich ansteuerbare "Orte", wie der Teutoburger Wald oder der Möhnesee sind auch dabei. Vor allem aber geht es, im Sinne der "lieux de mémoire" des französischen Historikers Pierre Nora, um Abstrakta, um historische Ereignisse und prägende Phänomene, die Westfalen im Denken der Gegenwart markieren. Und das kann auch der westfälische Pumpernickel sein. Wo kommt eigentlich dieser komische Name her? Aus dem Französischen womöglich? Und was ist so westfälisch an dem grobschlächtigen Brot, das mindestens 16 Stunden nur aus Roggenkörnern, Wasser und Salz gegart wird? Schon im 16. Jahrhundert lag das westfälische Backwerk einem durchreisenden italienischen Humanisten schwer im Magen, wie man erfährt.

Die Porta Westfalica selbst rückt durch handfeste denkmalpflegerische Aktivitäten derzeit ohnehin buchstäblich wieder stärker in den Blick. Dort, wo der Weserlauf schon im Jurazeitalter sich seinen Weg durch den Riegel von Wiehen- und Wesergebirge bahnte – was im Volksglauben nur mit Teufels und Gottes Eingreifen geschehen sein konnte –, platzierte die Kaiserzeit ein kapitales Kaiser-Wilhelm-Denkmal. 1896 weihten 20.000 mit Sonderzügen angereiste Gäste und Kaiser Wilhelm II. es bei Sturm und Regen ein. Der riesige Trumms wilhelminischer Denkmalskunst harrte in den Nachkriegsjahrzehnten als Sonntagsausflugsziel hoch oben auf dem Berg aus, wenig geliebt, aber eben vorhanden und rundum zunehmend zugewuchert von Baum- und Buschwerk. Neuerdings wird das architektonische Renommierstück durch den Eigentümer, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, aufwendig saniert, freigeschnitten, durch Ausgrabungen arrondiert und wieder samt Vorplatz und Substruktionen in seinen imposanten Maßen erlebbar gemacht. Ein riesiges Restaurant im Sockelgeschoss soll Ausflügler verköstigen, die, so hofft man, in Massen strömen werden. Bühne der Erinnerung oder kommerzielles Highlight? Auf dem mattschwarzen Cover glimmt das Wahrzeichen als schimmernd neongrüne Architekturzeichnung, als sei es ein virtuelles Luftschloss.

Lena Krull (Hg.)
Westfälische Erinnerungsorte
Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region
Ferdinand Schönigh Verlag, 2016
592 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 34,90 Euro

Freitag, 2. Dezember 2016

Haus Buchthal - Ausstellung in der Galerie Aedes

Foto: Elke Linda Buchholz
Von Elke Linda Buchholz - Kapitel eins. Das Bauherrenehepaar traut sich was. Mitten im noblen Westend lassen sich Thea und Eugen Buchthal 1922 eine expressive Villa errichten, die zwischen den gediegenen Wohnhäusern rundum wie ein Paradiesvogel wirkt. Im Musikzimmer leuchten grüne Pfeiler vor knallgelben Wänden, nebenan im Wohnzimmer taucht man in blaues Farbfluidum, während die Speisen vor orange-violett getünchten Wänden im Essraum serviert werden. Nach außen faltet sich der Baukörper in V-Form mit kristallinen Kanten und Ecken auf. Hingucker ist eine rasant expressionistische, mehrfach gestufte Giebelfront, mit symmetrischem Brunnen davor. Den Entwurf für dieses extravagante Stück Berliner Architekturgeschichte lieferten die jungen Brüder Wassili und Hans Luckhardt mit ihrem Büropartner Franz Hoffmann. Zwar hatten sie noch nie zuvor einen Bau realisiert, aber in einer Berliner Galerie mit kristallinen Architekturvisionen aus Glas, Licht und Farbe für Aufsehen gesorgt. Der Konfektionskaufmann Buchthal und seine kunstsinnige Frau entschieden: Genau so wollten sie wohnen. Mit Gemälden von Feininger, Nolde, Pechstein und Erich Heckel komplettierten sie ihr Domizil, schafften Skulpturen von Lehmbruck und Emy Roeder an. Sogar der Garten wuchs sich mit pfeilförmig auf das Haus weisenden Blumenrabatten zu einem Kunstwerk aus. Arnold Schönberg, Max Beckmann, Lou Andreas-Salome und andere kamen zu Gast. Doch der Expressionismus überstand den Praxistest nicht.
Kapitel zwei. Kaum fünf Jahre wohnte das Paar mit seinen drei Kindern in dem gewagten Objekt, dann reichte es der Familie. Buchthals engagierten einen neuen Architekten. Als Ernst Freud, Sohn des Psychoanalytikers, sein Umbauwerk 1928 vollendet hatte, war die expressionistische Villa Buchthal praktisch aus dem Stadtbild verschwunden. Statt schräger Winkel, Kanten und Ecken dominierten nun glatte weiße Mauern und schlichte Rechteckfenster. Im Inneren wurden die komplexen Grundrisse vereinfacht, soweit möglich. Zusätzliche Obergeschossräume und eine üppige Dachterrasse erweiterten die Wohnfläche. Nicht wiederzuerkennen, das Haus! Weiterlesen im Tagesspiegel

Bauen mit Holz - Ausstellung im Martin-Gropius-Bau

© Architekturmuseum der Technischen Universität München
Von Elke Linda Buchholz - Auf dem Monte Rosa bei Zermatt hockt auf 2880 Metern Höhe ein futuristisches Gebäude, halb silbriger Kristall, halb futuristische Raumstation. Nur per Hubschrauber versorgt, bietet es in den Sommermonaten 120 bergverrückten Alpinisten Obhut. Das asymmetrische Volumen wurde mit Hilfe von Computerprogrammen klimatisch optimal an seine Extremlage angepasst. Unter der Aluhülle jedoch verbirgt sich einer der traditionellsten Werkstoffe: Die Monte Rosa Hütte ist komplett aus Holz gebaut. Schon immer wurde im Alpenraum mit Holz gebaut. Aber doch nicht so! Was internationale Architekten seit einigen Jahren mit dem nachwachsenden Traditionsbaustoff zustande bringen, zeigt der Martin-Gropius-Bau anhand von 60 Modellen sowie Fotos und Filmen. Das jüngste Projekt wird gerade in Vancouver fertiggestellt und ist ein echtes Renommierstück, obgleich knapp kalkuliert für Minimalstandard: Das Hochhaus soll 400 Studenten beherbergen und zugleich die Leistungsfähigkeit der kanadischen Holzwirtschaft unter Beweis stellen. 18 Stockwerke ragt die Holzkonstruktion empor. Noch nie wurde mit Holz so gewagt in die Höhe gezimmert. Neue Fertigungstechniken, computergestützte Entwurfsverfahren und innovative Ideen haben den klassischen Holzbau revolutioniert. Weiterlesen im Tagesspiegel