Translate

Montag, 3. April 2017

Im Theater (62): "Freischütz"-Premiere in Heidelberg

Die Wolfsschlucht ist eine leere Drehbühne, mehr nicht. Umso verstörender, was dort exekutiert wird: Kaspar und Max müssen einen Menschen ausweiden, damit Samiel die Zauberkugeln herausrückt, die immer ins Ziel treffen. Die Berliner Regisseurin Sandra Leupold geht volles Risiko, wenn sie die Wolfsschluchtszene mit fast nichts als halbnackten Körpern und Theaterblut spielen lässt, sie polarisiert damit das Heidelberger Publikum, hält aber fein die Balance zwischen demonstrativem Theaterspiel und blutigem Ernst. Die drei Akteure (Alexander Geller als Max, James Homann als Kaspar, AP Zahmer als Samiel) sind auf der rotierenden Scheibe physisch extrem gefordert, wissen dabei in jeder Sekunde, was sie tun, während die Höllenmusik Webers schroff aus dem Orchestergraben wetterleuchtet (am Pult: Dietger Holm).
Nichts ist in dieser Aufführung romantisch weichgespült und breitgemalt, die Musik eine Geisterbahnfahrt durch alptraumhafte Seelenzustände. Verquält schleppt sich Max von Szene zu Szene, mitleidlos gemobbt vom Jägerchor und den Jägerfrauen, rumgeschubst, angespuckt, verprügelt. Auch Agathe (Hye-Sung Na) wird ihrer Liebe zu Max auch nicht froh. Lyrische Momente  ("Oh lass Hoffnung dich beleben...") verlegt die Regie (durch Lichtwechsel) eindeutig in die Innenwelt der Figuren, die soziale Welt bietet dafür keinen Anhalt.
"Durch die Wälder, durch die Auen" geht es ohne Schmelz, der "Jungfernkranz" ist Teil eines albernen Junggesellinnenabschieds, für den die von Ännchen (Irina Simmes) angeführten Mädels sich mit Geweihchen schmücken. Man und frau trägt quietschbunte Turnschuhe zu Röcken, Kleidern, Uniformen und Jagdtracht (Kostüme: Jessica Rockstroh) aus der Restaurationsperiode um das Uraufführungsjahr 1821: Die Nationaloper spielt in deutscher Vergangenheit, steht aber im Hier und Heute. Eine "Alptraumlandschaft der deutschen Seele" (Sandra Leupold) führt sie vor, dumpf bedrückend und zugleich schwebend. Vom Schnürboden heben und senken sich ganz sachte Brautkleid, Gewehr, Spindel, Uhr, Tannenzapfen, Plastikgießkanne, Jägerhut, Geweih, Horn, Kerzenlicht und Dutzende weiterer Requisiten, füllen den tiefschwarzen Bühnenhimmel (Stefan Heinrichs), eine surreal anmutende Rauminstallation.
In der Volkssage "Der Freischütz", auf der die Oper basiert, gibt es kein Happyend: Die teuflische siebte Kugel trifft die Braut und der Bräutigam endet im Irrenhaus. Darauf steuert auch die Oper zu, doch ein heiliger Mann schreitet ein, der die Liebenden schützt und das Schlimmste verhindert. "Der rein ist von Herzen und schuldlos von Leben, darf kindlich der Milde des Vaters vertraun", lautet dann die Schlusssentenz der Oper. Die Regisseurin ist misstrauisch, sieht gerade in diesem milden Finale einen Ausgangspunkt der deutschen Misere, das Sich-Einrichten in einer langen Kette der Subordination. Biedermeierlich bleibt es bei den Rollenzuweisungen an die Geschlechter, die Frauen dürfen zuhause häkeln, während die feschen Jäger draußen im Wald herumballern. Webers Schluss können Regisseurin und Dirigent nicht umschreiben, ihre Skepsis ist nicht zu überhören.
Termine, Besetzung und Fotos auf der Website des Theaters Heidelberg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen