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Dienstag, 27. November 2018

Eine Revolutionärin botanisiert. Rosa Luxemburgs Herbarium als Faksimile

Sie wollte Naturwissenschaftlerin werden, am liebsten Botanikerin - und wurde als junge Studentin  durch eine Liebesbeziehung zu dem marxistischen Vordenker Leo Jogiches für immer "an die verfluchte Politik geschmiedet". Im Frühjahr 1913 erfasste die alte Sehnsucht die Frontfrau der deutschen Sozialdemokratie wie ein Rausch. Besessen sammelte sie monatelang Blumen und Blätter, die sie presste und in Schulheften sorgfältig beschrieb.
Weggesperrt während des Ersten Weltkriegs kratzte Rosa Luxemburg Unkraut auf gepflasterten Gefängnishöfen für ihre Sammlung und ließ sich von Freundinnen gepresste Pflanzen schicken. Wunderbarerweise tauchten 17 Hefte ihres Herbariums 2009 in Warschau wieder auf, als der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos nach DNA-Spuren von Rosa Luxemburg fahndete. Es sind anrührende Lebenszeugnisse: "18. 9. 15 in die Zelle hereingeweht vom Wind aus dem Lazaretthof" steht gut leserlich neben fünf sternförmig arrangierten Ulmenblättern. Im Lazaretthof des "Weitergefängnisses" in der Berliner Barnimstraße habe sie "jeden Tag irgendeine kleine botanische oder zoologische Entdeckung" machen können, schreibt Rosa Luxemburg fast wehmütig aus dem Breslauer Knast am 2. August 1917 an Sophie Liebknecht. Die Frau des Politikers Karl Liebknecht schickte Pflanzen aus dem Botanischen Garten in Dahlem, einem der Lieblingsorte Rosa Luxemburgs in Berlin.
Im Herbarium erhalten blieben auch Blätter einer Bohnenpflanze, die sie 1918 im Breslauer Strafgefängnis in einem Topf zog. "Es ist ein großer Strauch mit ganz gewaltigen Bohnen geworden", schreibt Rosa Luxemburg stolz an Clara Zetkin; in den Herbariums-Heften heißt es: "Hat 8 grosse Schoten gebracht."
Im Faksimile des Herbariums zu blättern, ist in diesen novembergrauen Tagen ein wahrer Augen- und Seelentrost. Die zahlreichen Briefstellen aus den Jahren 1915 bis 1918, die sich aufs Botanisieren beziehen, sind im Anhang abgedruckt. Ein perfektes Verschenkbuch zu Weihnachten, so kurz vor dem 100. Todestag Rosa Luxemburgs.

Rosa Luxemburg
Herbarium
Herausgegeben von Evelin Wittich.
Mit einer Einleitung und einer Auswahl an Briefen von Holger Polin.
Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2016
416 Seiten, gebunden, 39,90 Euro

ISBN 978-3-320-02325-6

Mittwoch, 7. November 2018

Das geheime Leben der Dinge. Wie im ethnologischen Museum in Dahlem Indigene mit Ethnologen zusammenarbeiten

Orlando Fontes (links) und ein Kollege im Depot des
Ethnologischen Museums in Dahlem.
Foto: SPK/photothek.net/Inga Kjer
Von Elke Linda Buchholz. Behutsam streicht Orlando Fontes aus Brasilien über die Oberfläche eines bauchigen Keramikgefäßes. Kritisch betrachtet ein anderer Experte den farbenprächtigen Federschmuck, dessen einzelne Bestandteile er vorsichtig aus der Archivbox im Dahlemer Depot hebt. Was wissen sie beide über diese Gegenstände? Welche uralten, mythischen Erzählungen verbinden sich damit? Was bedeuten die über 100 Jahre alten Objekte den Herkunftsgesellschaften, deren Kultur sie verkörpern? Zusammen mit zahlreichen weiteren Vertretern indigener Gruppen aus dem nördlichen Amazonastiefland reiste Orlando Fontes im Oktober zu einem Arbeitstreffen nach Berlin. Für Projektleiterin Andrea Scholz vom Ethnologischen Museum war der zweiwöchige Workshop samt Symposium ein wissenschaftliches Abenteuer mit offenem Ausgang. Ihr von der Volkswagenstiftung und der Bundeskulturstiftung gefördertes Pioniervorhaben "Geteiltes Wissen" nimmt bis 2020 rund 3000 Objekte in den Blick. Es geht um Wissensproduktion unmittelbar am Gegenstand. Vor allem aber geht es um neue Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs auf Augenhöhe.

Dienstag, 30. Oktober 2018

London 1938: Eine Ausstellung über von den Nazis verfemte Kunst in der Liebermann-Villa

Albert Einstein, gemalt von Max Lieberman
Von Elke Linda Buchholz - Albert Einstein hat es aus London nicht pünktlich zur Eröffnung geschafft. Das Porträt des Nobelpreisträgers, das Max Liebermann 1925 malte, trifft erst mit Verspätung in der Villa des Malers am Wannsee ein. Museumsdirektor Martin Fass seufzt: Es hakte an der britischen Ausfuhrgenehmigung. Ausstellungen organisieren ist eben immer ein Riesenaufwand, nicht nur in Brexit-Zeiten. Zollformalitäten, Versicherungen, Leihverträge, Papiere. Wie schwierig muss die Logistik erst einst im Vorkriegsjahr 1938 gewesen sein. Damals ging das Einstein-Bildnis den umgekehrten Weg. Liebermanns Witwe Martha schickte es aus Berlin als Leihgabe zur Londoner Ausstellung „Twentieth Century German Art“. Weiterlesen

Wo bitte gehts zur Revolution? Zwei Neuerscheinungen zu Berliner Schauplätzen im Winter 1918/19

Revolutionäre vor dem Brandenburger Tor, 1918
Von Michael Bienert. In wenigen Tagen soll sich Berlin in eine aufgeschlagenes Geschichtsbuch verwandeln: Mehrere Ausstellungen zur Novemberrevolution werden eröffnet und 100 Orte in der Stadt sollen als Schauplätze revolutionärer Ereignisse im Winter von 100 Jahren markiert werden. Dazu findet man bereits eine Onlinekarte auf der Website des stadtweiten Projekts 100 Jahre Revolution. Pünktlich zum Jubiläum sind an der Baustelle des Humboldt-Forums die Gerüste vor der wiederaufgebauten barocken Fassade des Berliner Schlosses gefallen: Einer der zentralen Schauplätze der Auseinandersetzungen ist wieder sichtbar geworden. Welche Rolle genau das Schloss in den Novembertagen spielte, beleuchtet der erste Band der Buchreihe Im Fokus: Er rekonstruiert die Ereignisse um die Ausrufung der ersten sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht am 9. November 1918 am Schlossplatz, sowie die Mythenbildung, die dazu führte, dass das Portal IV des Berliner Schlosses künftig doppelt vorhanden sein wird.

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Dienstag, 9. Oktober 2018

Künstler, die auf Bäumen hocken - Ausstellung im Düppeler Forst (noch bis 28. Oktober 2018)

Von Elke Linda Buchholz - Mitten auf dem Waldweg liegt ein Lineal. Ein minimalistischer künstlerischer Eingriff in den Naturraum oder nur ein vergessenes Relikt vom Ausstellungsaufbau? Wer dieser Tage durch den herbstlichen Forst Düppel streift, darf sich auf ungewöhnliche Entdeckungen gefasst machen. "Through a Forest Wilderness" nennt sich die ausgedehnte Frischluftschau, die ihren Besuchern zu festem Schuhwerk rät. Wie Künstler seit den Pioniertagen von Fluxus und Happening den Wald als künstlerisches Terrain eroberten, will sie erkunden. Im Osten überwog dabei oft der Impuls, staatlicher Kontrolle zu entweichen, im Westen eher die Lust an antikommerziellen Ausdruckformen. Also: den Wetterbericht studieren und ab in den Wald! Der Parcours beginnt gleich gegenüber der Kirche Sankt Peter und Paul auf Nikolskoe, die schon seit 1837 einen kulturellen Außenposten im Forstgrün markiert. Die Busanbindung ist sporadisch, aber immerhin vorhanden. Und schon nach wenigen Schritten scheint die urbane Gegenwart weit weg. Äste knacken, Laub raschelt unter den Füßen, die Pfade werden schmaler. Die Sinne schärfen sich. Es riecht nach Herbst. Wald ist immer eine immersive Ganzkörpererfahrung. Jetzt aber hat sich die Natur mit intellektuellem Input aufgeladen. Die Idee dazu hegte Kuratorin Petra Stegmann seit 10 Jahren, sie bereitete ihr Projekt mit einer Indoor-Ausstellung in Potsdam letztes Jahr vor. Nun half die Bundeskulturstiftung, das Thema dorthin zu verpflanzen, wo es hingehört: ins Freie.

Sonntag, 23. September 2018

ABC des Reisens - Ausstellung in der Kunstbibliothek

Von Elke Linda Buchholz. Reisen kostet. Als Reichstagsarchitekt Paul Wallot 1875 auf Tour ging, notierte er akribisch seine Tagesausgaben in einem Skizzenbuch. Zu Buche schlugen Eisenbahn, Diorama, „Caffé“. Das zerfledderte Büchlein blättert die Kunstbibliothek jetzt auf, nebst einem Sparkassen-Plakat von 1954, das auch Pfennigfuchsern eine Urlaubsreise ans Herz legt: „Sparen ermöglicht die Urlaubsreise.“ Quer durch die Zeiten navigiert die Ausstellung, mit der das Haus seinen 150. Geburtstag feiert. Dröge Chronologien und penible Ordnungsraster bleiben im Staub der Geschichte zurück. Als locker gestricktes „ABC des Reisens“ schlängelt sich der Parcours entlang lexikalischer Stichworte von „A“ wie Album bis „Z“ wie Ziel. Das gibt allen fünf Abteilungen der einst als Vorlagensammlung fürs Kunstgewerbe gegründeten Institution die Chance, mit spannenden und skurrilen Preziosen zu glänzen.

Montag, 3. September 2018

Hannah Höchs Adressbuch

Hannah Höchs Adressbuch
Foto: Berlinische Galerie
Von Elke Linda Buchholz. 
Hannah Höch nimmt 1917 ein kleines Büchlein zur Hand und trägt fein säuberlich die ersten Namen von Bekannten und Freunden ein. Gut sechzig Jahre später hat die Künstlerin ihr Adressbuch noch immer in Gebrauch. Unversehens ist es zu einer veritablen Collage angewachsen. Eingelegte Visitenkarten, überklebte Zusatzseiten, durchgestrichene Einträge und ergänzte Notizen haben die anfängliche Ordnung von A wie Amsterdam, Hans Arp und Augenarzt bis Z wie Zürich, Gertrud Zarniko und Galerie Zinke längst unterminiert. Das zerfledderte Original ruht heute in der Berlinischen Galerie: eine fragile Kostbarkeit mit maroder Heftung, abgegriffenen Ecken und knallroten Farbklecksen auf dem Umschlag. 

Montag, 27. August 2018

BRECHTS BERLIN - Die Stalinallee (Videotrailer)


Auf einem Spaziergang über die ehemalige Stalinallee 
stellt der Autor Michael Bienert sein neues Buch BRECHTS BERLIN vor,
 das im Oktober 2018 im Verlag für Berlin-Brandenburg erscheint.


Bildhauer mit Beduinenzelt - Für Jussuf Abbo wird eine Gedenktafel in Berlin enthüllt

Jussuf Abbo
Foto: Wikimedia Commons
Von Elke Linda Buchholz - Jussuf Abbo. Ein Name, den man nicht so schnell vergisst. Aber wer war er? Die Kunstgeschichte gibt eine Vermisstenanzeige auf. Aus dem Gedächtnis Berlins ist der Bildhauer, der einst aus Safed in Palästina hier anlangte, nahezu spurlos verschwunden. Jetzt kehrt er zurück. Diese Woche wird eine Gedenktafel für ihn am Reichpietschufer 92 enthüllt. Aber das Haus, in dem der Bildhauer viele Jahre werkelte, steht nicht mehr. Und schon mit der Beschriftung der Gedenktafel fangen die Probleme an, seufzt Dorothea Schöne. Die Leiterin des Kunsthauses Dahlem hat sich an Abbos Spuren geheftet. In tausend Richtungen laufen die Fäden. Sie weben einen bunten Teppich mit geheimnisvoll schillernden Erinnerungsmustern, der mehr Lücken und Leerstellen als belastbare Stellen liefert. Wurde der Künstler nun 1890 geboren oder 1888, 1889 oder "im Jahr der großen Dürre", wie ein Nachkomme erzählte? Dokumente fehlen. Damals gehörte Abbos Geburtsort Safed, ein uraltes Zentrum des Kabbalismus, zum Osmanischen Reich. Heute liegt die Region in Israel. Als das Osmanische Reich von der Weltkarte verschwand, wurde Jussuf Abbo staatenlos. Ihn kümmerte das erstmal wenig. Was braucht man Papiere, wenn man künstlerisch arbeiten kann und die Dinge gut laufen...

Sonntag, 1. Juli 2018

Unter Pflegefällen. Jens Sparschuhs Roman aus dem Altersheim

Von Michael Bienert. Nie verläuft ein langes Leben in gerader Linie. Biografien beschreiben Zickzack- und Wellenlinien, wenigstens einen Bogen von Nullpunkt zu Nullpunkt. Kleinkinder und die ganz Alten sind ähnlich schwach und hilfebedürftig, sie müssen gestützt und umsorgt werden, oft auch gefüttert und gewindelt.
Täglich hat der Ex-Journalist Titus Brose die prekäre Situation der Pflegefälle vor Augen. Er arbeitet im „Alten Fährhaus“, einem Seniorenheim bei Berlin, dessen Insassen auf die Überfahrt ins Jenseits warten. Brose verdient er seinen Lebensunterhalt damit, im Auftrag einer Agentur die Lebenserinnerungen der Alten in Bücher zu verwandeln. Die paar gebundenen Exemplare sind nicht für den Buchmarkt bestimmt, sondern werden von den Angehörigen gut bezahlt.
Zu den kuriosen Bewohnern des Alten Fährhauses gehört Dr. Einhorn, der sich seit Jahrzehnten mit dem Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso befasst. Eine Merkwürdigkeit in Chamissos Lebenslauf lässt den Forscher nicht los: Immer wieder hat der Dichter Ereignisse aus seinem Leben in seinen Schriften literarisch antizipiert. Ein Schlüsselrolle darin spielte sein Freund Julius Eduard Hitzig, der auch die erste Biografie Chamissos verfasste. Einhorn ist überzeugt, dass Chamissos Leben nur zu verstehen sei, indem man es chronologisch rückwärts erzählt. Er schickt Brose ins Leipziger Stadtarchiv, um dort ein biografisches Detail aus Chamissos Leben zu ermitteln, das Einhorns Theorie der „Zeitschleifen“ bestätigen soll.
Was ihm im Alten Fährhaus begegnet, bringt den Biografieprofi Brose zusehends aus dem Konzept – und öffnet ihm einen Zugang zum Erzählen seiner eigenen Geschichte. Wie Hitzig in das Leben Chamissos, so greift Brose als Regisseur ins Leben einer Insassin des Pflegeheims ein, nachdem diese ihm einen unerfüllten Lebenswunsch offenbart hat. Der Erzähler Jens Sparschuh entlässt seine Leser somit nicht ungetröstet aus dem bedrückenden Altersheimszenario seines jüngsten Romans. Seinem Helden Titus Brose verhelfen die Pflegefälle zu einem Wechsel der Perspektive auf das eigene Leben, und darin liegt auch die stille Kraft dieses unaufgeregt erzählten Romans.

Jens Sparschuh: Das Leben kostet viel Zeit. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, 384 Seiten, 20 Euro.

Der Affe fällt nicht weit vom Stamm - eine furiose Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum

Von Elke Linda Buchholz. Die Chefin des Georg-Kolbe-Museums hat sich zu einer Radikalkur entschlossen. Ganz wohl ist Julia Wallner nicht dabei. Sie hat schlecht geschlafen vor der Ausstellung „Der Affe fällt nicht weit vom Stamm“ von Volker März. Denn im ehemaligen Kaminzimmer des historischen Bildhauerateliers steht jetzt Hitler neben Franco. Das akademische Franco-Porträt schuf Kolbe als Auftragswerk. Sein Bremer Künstlerfreund Gerhard Marcks, ein verfemter Künstler, ließ sein Hitler-Konterfei irritierenderweise noch 1949 in Bronze gießen. Die beiden Diktatorenköpfe hat der Gastkünstler aus dem Depot gefischt und knallt sie dem Besucher gleich zu Beginn des Rundgangs direkt vor die Nase. Ruhms. Weiterlesen

Max Lieberman trifft Paul Klee: Eine Ausstellung am Wannsee

Die Liebermannvilla am Wannsee
Von Elke Linda Buchholz. Liebermann empfängt Klee. Zwei Maler geraten ins Gespräch. Ihre Auffassungen unterscheiden sich gründlich, aber es gibt auch überraschende Berührungspunkte. Mal schweigt der eine, mal lässt der andere dem Kollegen den Vortritt. Zum Vergleich stellen sie ihre Bilder nebeneinander. In Wirklichkeit hat diese Begegnung zwischen dem preußischen Impressionisten Liebermann und dem Schweizer Bauhausmeister Klee nie stattgefunden. Sie lebten in getrennten Kunstuniversen. Aber ihre Werke nehmen in Liebermanns sommerlicher Villa jetzt den Gesprächsfaden auf. Weiterlesen

Ein Besuch bei Josephine Gabler, der neuen Direktorin des Berliner Kollwitz-Museums

Noch ist das Kollwitzmuseum in der
Fasanenstraße zu finden.
Von Elke Linda Buchholz. Vor dem Haus riecht es nach Orangen. Ein Saftstand des Auktionshauses Villa Grisebach nebenan empfängt mit frisch gepressten Vitaminen. Auch Josephine Gabler, die neue Direktorin des Kollwitz-Museums, verbreitet positive Aufbruchstimmung in ihrem sonnigen Arbeitszimmer. Sie will das Haus endlich wieder in ruhigeres Fahrwasser lenken. Genug sei über die Querelen im vergangenen Jahr geschrieben worden, als die Stiftung des langjährigen Auktionshausleiters Bernd Schultz dem Kollwitz-Museum kündigte und die damalige Direktorin Iris Berndt entnervt die Segel strich. Weiterlesen

Sonntag, 3. Juni 2018

550 Jahre Kammergericht im Buch

Noch eine trockene "Festschrift" auf ein Gericht oder ein spannender Spaziergang durch die Justizgeschichte? Martin Rath ist recht angetan von Michael Bienerts Buch "Das Kammergericht in Berlin", das jetzt erschienen ist. Hier lesen auf Legal Tribune Online


Mittwoch, 18. April 2018

Berlinführer in neuen Auflagen

Die Wegweiser von Michael Bienert und Elke Linda Buchholz durch das Berlin der Kaiserzeit (4. Auflage) und das Berlin der Zwanziger Jahre (8. Auflage) sind echte Longseller, was sicher auch daran liegt, dass sie von Auflage zu Auflage gründlich durchgesehen, aktualisiert und verbessert werden. Inzwischen sind auch etliche Farbfotos hinzugekommen, die in den ersten Auflagen fehlten. Jetzt sind die neuesten Nachauflagen aus der Druckerei eingetroffen. Modernes Berlin der Kaiserzeit und Die Zwanziger Jahre in Berlin erscheinen weiterhin im Berlin Story Verlag, sind über den gesamten Buchhandel zu beziehen und kosten unverändert (!) 19,95 pro Exemplar.

Dienstag, 10. April 2018

Die Sammlung Suermondt am Kulturforum

Von Elke Linda Buchholz - Der Börsencrash von 1873 war schuld. Ohne den Einbruch der überhitzten Finanzmärkte wäre die Berliner Gemäldegalerie um einige heute unbezahlbare Highlights ärmer. Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenhalsband“ bespiegelt sich ungerührt von allen Baissen und Haussen seelenruhig in ihrer holländischen Kammer. Ebenso zeitlos und unbegreiflich schön erwartet einen Jan van Eycks um 1440 auf eine winzige Holztafel gemalte Madonna in ihrem lichtdurchströmten gotischen Kircheninterieur. Dies sind nur zwei von 218 Meisterwerken, die der Sammler Barthold Suermondt im Jahre nach dem Gründerkrach auf einen Schlag an die Berliner Museen veräußerte. Weiterlesen

Hoffmanns Berlin - Lesung auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof

Ein Schmetterling ist auf dem Grab des Dichters E. T. A. Hoffmann einmeißelt. Die Lesung von Michael Bienert aus E. T. A. Hoffmanns Berlin auf dem Friedhof musste im vergangenen Jahre wegen Regenüberflutung abgesagt werden, nun wird sie nachgeholt. Die Lesung am 26. April 2018 wird musikalisch umrahmt von Adrian Rovatkay (Fagott) und Petra Kießling (Cello). Ab ca. 16.30 Uhr ist die mobile Friedhofsbar auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I vor dem Halleschen Tor geöffnet (Eingang an der Baruther Straße oder am Mehringdamm), um ca. 17 Uhr beginnt das Kulturprogramm. Der Eintritt ist frei - Spenden erbeten. Weitere Infos auf www.mendelssohn-remise.de

Samstag, 24. März 2018

Max Beckmanns Welttheater in Potsdam

Von Elke Linda Buchholz - Das ganze Leben als Bühnenspektakel zwischen Comedy und Tragödie: Diesen Gedanken hat Max Beckmann (1884-1950) in zahllosen Variationen gemalt – in grellen Farben, exaltierten Posen und wechselnden Kostümen. Der Klassiker der Moderne inszenierte sich und seine Zeitgenossen mit Vorliebe als Artisten und Karnevalisten auf den Bretterbühnen seiner Leinwände. Weiterlesen auf http://kunstundfilm.de/2018/03/max-beckmann-welttheater/

Donnerstag, 22. März 2018

Exil ist keine Kunst - Privatinitiativen für ein Exilmuseum und die Ideenlosigkeit der Kulturpolitik

Thomas B. Schumann wirbt für sein
Exilmuseum. Foto: Bienert
Von Michael Bienert - In Berlin will ein erfolgreicher Kunsthändler sein Lebenswerk krönen, indem er der Stadt ein Museum schenkt, das dauerhaft an die von den Nazis vertriebenen Mitbürger und Künstler erinnert. Der Mann hat Geld und ein Netzwerk, aber keine Sammlung, die auf den Museumszweck zugeschnitten wäre. In der Nähe von Köln sitzt ein manischer Sammler in einem zweistöckigen Bungalow, vollgestopft mit 50.000 Büchern, vor allem von Exilautoren, mit Dokumenten, ganzen Nachlässen und 700 Bildwerken, die von exilierten Künstlern stammen. Seit zehn Jahren sucht der Rheinländer einen Ort und Unterstützung für ein Museum des Exils. Was läge also näher, als dass die beiden unternehmungslustigen älteren Herren sich zusammentun, um ihren Traum gemeinsam zu realisieren?

Montag, 19. März 2018

Im Theater (65): Sandra Leupold inszeniert Sciarrinos "Die tödliche Blume" in Lübeck

Theater Lübeck
Von Michael Bienert - Ist das schon Musik oder nur ein Nebengeräusch vom Sitznachbarn? In Salvatore Sciarrinos Oper "Die tödliche Blume" stellt sich diese Frage unvermeidlich. Fünffaches Pianissimo, das aus der Lautlosigkeit kommt und wieder aushaucht, wird den Musikern mehr als einmal abverlangt. Dabei sollen sie den Instrumenten laut Partitur höchst unkonventionelle Klänge entlocken. So erinnert der Orchesterklang bisweilen an elektronische experimentelle Musik der 1960er Jahre: Wie das brummt, haucht, sirrt, rappelt und trappelt, oft an der Grenze der Hörbarkeit, und wie sich das mit dem Räuspern und den Magengeräuschen des Nebenmenschen im Publikum vermengt!  Mucksmäuschenstill ist das geduldigste Opernpublikum nicht, und im Lübecker Stadttheater sitzen weniger Neue-Musik-Fanatiker als betagte Operngänger. Dass sie sich hörend wahrnehmen, ist vom Komponisten ganz sicher mitbedacht, ja erwünscht. Denn seine Oper soll nichts übertönen, sondern im Gegenteil: Sciarrino will den Hörsinn schärfen und damit die Welt ein bisschen besser machen. Sensibilisierung für das Ausgeblendete, Überhörte, nicht als Klang und Musik Akzeptierte ist das pädagogische Ziel. Weswegen das Publikum schon vor Beginn der Vorstellung im Foyer an Hörstationen Stimmen lauschen oder durch eine mit bunten Eierkartons ausgeschlagene Hörmuschel kriechen darf, in der das Geräusch der Menge von Schritt zu Schritt eine andere Farbe annimmt.

Sonntag, 11. März 2018

Im Theater (64): Brechts "Kreidekreis" als Fluchtgeschichte am Berliner Ensemble

Von Michael Bienert - Wer eine E-Gitarren-Allergie hat, muss um diese Inszenierung einen Bogen machen. Wer die Leadgitarre von Jimmy Page in Led Zeppelins "Dazed And Confused" schon immer liebte, kommt ganz sicher seine Kosten. Gut eineinhalb Stunden dröhnt, jault, zirpt und singt es aus dem Gitarrenverstärker ganz hinten auf der leeren Bühne des Berliner Ensembles, manchmal an der Schmerzgrenze. Der Gitarrist Kai Brückner baut live für die Ohren das fehlende Bühnenbild zu Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" in der Regie des Hardrock-Liebhabers Michael Thalheimer. Es ist eine der Inszenierungen, mit denen Intendant Oliver Reese das Berliner Ensemble vor einem halben Jahr wiedereröffnet hat, die erste Brecht-Inszenierung unter der neuen Intendanz. Wie geht es weiter mit der Brecht-Aufführungstradition an diesem Haus, von dem - komme was da wolle - immer noch wegweisende Brecht-Inszierungen erwartet werden?

Freitag, 9. März 2018

Berliner Blätter in Altenburg. Das Lindenau-Museum zeigt Arbeiten aus der Sammlung Volker Sachse

Paul Paeschke, Potsdamer Platz (um 1919)
Von Michael Bienert - Verkehrschaos auf dem Potsdamer Platz, Boxkämpfe im Sportpalast, Straßenprostitution und triste Mietskasernen - das alles ist noch zum 10. Juni 2018 im Lindenau-Museum in Altenburg nachzuerleben. 2011 erbte das Haus eine mehr als 10.000 Blätter umfassende Sammlung von Druckgrafik des 20. Jahrhunderts, die der Berliner Jurist Volker Sachse seit den 1970er Jahren zusammengetragen hatte. Einen thematischen Schwerpunkt bildet darin das Berlin der Weimarer Republik, vertreten sind viele bekannte Namen - wie Kollwitz, Grosz, Schlichter, Barlach, Beckmann -, aber auch größere Konvolute mit Berlin-Ansichten weniger bekannter Zeitgenossen wie Hans Gabriel und Rudi Lesser. Die Sammlung Sachse wurde in den vergangenen Jahren erschlossen, kuratiert von der dafür zuständigen Mitarbeiterin Sophie Thorak zeigt das Haus nun eine aussagekräftige Auswahl von "Berliner Blättern" aus dem Zeitraum 1914 bis 1934.
Hans Gabriel, Spree mit Stadtbahnbögen
Es waren harte Jahre für die Berliner: Krieg, Lebensmittelknappheit, Revolution und Inflation mussten sie durchstehen, die wirtschaftliche und politische Stabilisierung ab 1924 währte nicht lange, schließlich führte die Weltwirtschaftskrise zu neuerlicher Verelendung, politischer Polarisierung und dem Untergang der Republik. Die Härte des damaligen Großstadtalltags ist in den meisten ausgestellten Kunstwerken zu spüren, vom angeblichen  Glanz der Zwanziger Jahre wenig zu sehen. Der Parcours durch die grafischen Arbeiten der Jahre endet in einem neu eingerichteten Oberlichtsaal mit farbintensiven Gemälden und Skulpturen aus der reichen Sammlung des Lindenau-Museums, unter anderem von Barlach, Kolbe, Dix und Conrad Felixmüller - das alles fügt sich zu einer inhaltlich plausiblen, klug gehängten und sorgfältig kommentierten Präsentation der Berliner Großstadtkunst der Zwanziger Jahre.

Ernst Oppler, Boxkampf im
Sportpalast (1920)
Berliner Blätter
Aus der Sammlung Volker Sachse
Lindenau-Museum Altenburg
Geöffnet täglich außer montags 12-18 Uhr,
am Wochenende 10-18 Uhr.
Bis 10. Juni 2018
www.lindenau-museum.de

Mittwoch, 31. Januar 2018

Max Reinhardts Reisetasche wieder in Berlin

Einen Kleinlaster voller Dokumente und persönlicher Gegenstände aus dem privaten Nachlass Max Reinhardts hat das Stadtmuseum Berlin erworben, zu welchem Preis, darüber wurde Stillschweigen vereinbart. Ein paar Stücke aus der Erwerbung wurden heute am Rand des Jahrespressekonferenz des Stadtmuseums gezeigt: eine offenbar viel benutzte Reisetasche des alle überragenden Berliner Theaterregisseurs des frühen 20. Jahrhunderts, ein von ihm selbst entworfenes Siegel, eine Krawattennadel und ein Zeitungsetui, Theaterzettel und das „Time“-Magazin mit dem Konterfei des vor den Nazis ins Exil geflohenen Theatermannes auf dem Titel. Der umfangreiche Bestand wird nun erschlossen und soll danach in der digitalen Sammlungspräsentation des Stadtmuseums recherchierbar sein. Das Stadtmuseum verfügt ohnehin über eine riesige theaterhistorische Sammlung, die Gegenstände aus den Besitz Max Reinhardts ergänzen sie um Objekte mit einer ganz persönlichen Aura.

Freitag, 26. Januar 2018

Die Berliner Secession nach der Revolution

Das 1921 zum Theater am Kurfürstendamm umgewidmete
Secessionsgebäude am Kurfürstendamm 208/209. Was
noch davon da ist, wird 2018 komplett abgerissen.
Von Michael Bienert - Die Berliner Secession gilt als die bedeutendste Künstlervereinigung in der deutschen Hauptstadt vor dem Ersten Weltkrieg: Sie war Sammelbecken und die Ausstellungsplattform der „Modernen“, die künstlerische Ausdrucksformen jenseits der akademischen Kunst des Kaiserreichs suchten. Mit dessen Untergang verschoben sich die Fronten: Protagonisten der Berliner Secession wie Max Liebermann oder Käthe Kollwitz wurden in der Weimarer Republik zu Leitfiguren der Preußischen Akademie der Künste. In der Kunst- und Kulturgeschichtsschreibung der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg spielt die Secession daher nur noch eine Nebenrolle. In ihrem Buch Die Berliner Secession 1899-1937 verändert Anke Matelowki diese vertraute Perspektive auf den Gegenstand: Vier Fünftel des Buches widmen sich der Zeit zwischen dem Überlebenskampf der Secession nach dem Ersten Weltkrieg bis zum sang- und klanglosen Verschwinden aus dem NS-Kulturbetrieb nach der letzten dokumentierten Ausstellung im Jahr 1936. Die Secession stand in dieser Zeit nicht länger in lebendiger Opposition zu einer herrschenden Kunstrichtung, blieb aber ein lebendiger Interessenverband und ein Ausstellungsforum für fast alle modernen Kunstströmungen der Zeit. So waren Otto Dix und George Grosz in den Secessionsausstellungen vertreten, Bildhauerinnen wie Renée Sintenis und Milly Steeger, viele jüdische Künstler, aber eben auch die späteren Nazi-Staatsbildhauer Arno Breker und Josef Thorak. Akribisch hat Anke Matelowski über viele Jahrzehnte Dokumente zusammengetragen, nicht nur in der Akademie der Künste, wo sie als Archivmitarbeiterin an der Quelle sitzt, sondern in zahllosen Archiven. Das Ergebnis ist ein wissenschaftliches Standardwerk zum Auf und Ab im Berliner Kunstleben der Weimarer Republik, denn nicht nur die Geschichte der Secession wird nacherzählt, ebenso werden ihre Stellung innerhalb des Kunstbetriebs, ihre Beziehungen zu anderen Künstlervereinigungen und die wirtschaftliche Situation der Künstler generell beleuchtet. Der Schweizer Nimbus-Verlag hat ein schönes Kunstbuch aus diesem Werk der kunst- und kulturwissenschaftlichen Grundlagenforschung gemacht, das auch einen gewichtigen Beitrag zur Berlin-Forschung darstellt.

Anke Matelowski
Die Berliner Secession 1899-1937
Chronik, Kontext, Schicksal
Wädenswil 2017
680 Seiten, 68 Euro
ISBN 978-3-03850-033-9
Weitere Infos

Mittwoch, 10. Januar 2018

Hyperlokal, kosmopolitisch und kinderfreundlich - der Neustart am Literaturhaus Berlin

Literaturhaus Fasanenstraße 23
Foto: Bienert
"Was ist das für ein Haus hier?" Mit dieser Frage haben sich Janina Gelinek und Sonja Longolius erfolgreich um ihren neuen Arbeitsplatz beworben. Seit dem 1. Januar 2018 leiten die Literaturwissenschaftlerinnen und -vermittlerinnen das Literaturhaus in der Berliner Fasanenstraße, besser gesagt: Sie bereiten den Programmstart pünktlich zum kalendarischen Frühlingsanfang vor. Ihr neues Konzept für die alte Villa ist inspiriert von dessen Geschichte: In der Gründerzeit erbaut für einen Korvettenkapitän, war es später Lazarett, Volksküche, Studentenklub, Café, Diskothek, Bordell - und ab 1986 das erste Literaturhaus, das sich so nannte, Vorbild für inzwischen über 20 Literaturhäuser im deutschsprachigen Raum. Der vorige Leiter Ernest Wichen gehörte noch der Gründergeneration an, jetzt übernimmt eine deutlich jüngere Generation das Steuer in der Kapitänsvilla.
"Wir sind die Erasmus-Generation" fasst Gelinek den kosmopolitischen Werdegang der neuen Leitung zusammen, die bestürzt ist darüber, dass ein Europa ohne spürbare Binnengrenzen neuerdings wieder infrage gestellt wird. Deshalb soll das Literaturhaus zum "Reservelazarett" für den europäischen Gedanken werden, gar ein europäischer Feiertag in der Fasanenstraße ausgerufen werden. "Wohnhaus" soll es sein für die wachsende Zahl von Alt- und Neuberlinern, als "Clubhaus" wieder attraktiv für Studierende werden, "Garküche" für das Sprachenwirrwarr der nach Berlin Geflüchteten. Im "Freudenhaus" werden neue Veranstaltungsformate ausprobiert und unter der Rubrik "Baumhaus" wird es künftig auch ein Kinder- und Jugendprogramm an der Fasanenstraße geben.
Sonja Longolius und Janina Gelinek
Foto: Nina Zimmermann
"Berlin als Schaffensort" heißt eine der neuen Programmreihen, dabei ist vor allem an Autoren nichtdeutscher Herkunft gedacht. Hyperlokal und international, das ist kein Gegensatz in Berlin, sondern ein Kapital. Die beiden Leiterinnen wollen das Haus in zentraler, verkehrsgünstiger Lage für das öffnen, was  nahe liegt: "Wir möchten gerne gute Gastgeber sein." Mit einem Frühlingsfest am 20. und 21. März startet das neue Programm, das hoffentlich viele neue Gäste in die Fasanenstraße lockt.
Noch bis 11. März ist im Literaturhaus die Ausstellung "Zwischen den Fronten. Der Glasperlenspieler Hermann Hesse" zu sehen. Weitere Infos unter www.literaturhaus-berlin.de